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Die Gewinnerin In Zukunft III, Yasmina Ouakidi mit Nina Peters und Bettina Milz
 

Yasmina Ouakidi wird für “Spiegelblicke” ausgezeichnet

Autor*innen der Gegenwart – Neue Stücke
Abschlussveranstaltung mit Preisverleihung

In Zukunft III

Am Sonntagmorgen des 4. September herrscht geschäftige Konzentration im Foyer der ehemaligen Waschkaue des Weltkulturerbes Zeche Zollverein. PACT Zollverein ist die über die Landesgrenzen hinaus bekannte Spielstätte für Tanz und Performance. Die Autorinnen und Autoren bereiten sich vor für die erste szenische Lesung ihrer in einjähriger Werkstattarbeit entstandenen Theaterstücke. Noch sitzen sie einzeln oder zu zweit zurück gelehnt auf den 50-er Jahre Sofas und üben ihre verteilten Rollen. Der zweckentfremdete Charme des Gelsenkirchner Barock vermischt mit Industriekultur des letzten Jahrhunderts verleiht dem Ort eine bescheidene Unaufgeregtheit, die auch das letzte Lampenfieber zu dämpfen scheint. Bald erscheinen die ersten Zuschauer und mit ihnen auch die Ehrengäste, unter ihnen Günter Wohlfarth als Geschäftsführender Direktor des Westfälischen Landestheaters (WLT), Bettina Milz, die Referentin für Theater und Tanz des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend und Kultur des Landes NRW sowie Nina Peters, Theaterlektorin des Suhrkamp Theater Verlages als Vertreterin der Jury. Letztere wird an diesem wolkenverhangenen Morgen verkünden, welches Stück nun von der Jury ausgewählt wurde und nächstes Jahr uraufgeführt werden wird. Nachdem der letzte Capuccino getrunken wurde, und die letzten Textmarkierungen gesetzt sind, wird die feierliche Lese-Matinee eröffnet.

Günter Wohlfarth ergreift das Wort und ehrt mit dem Satz : „Jedes einzelne Theaterstück hat eine Aufführung verdient“ alle nominierten Autorinnen und Autoren des IN ZUKUNFT Literatur-Wettbewerbs. Er betont, dass die Beschäftigung mit interkulturellen und transkulturellen Themen seit vielen Jahren eine der tragenden Säulen des Landestheaters ist. _„Für mich war und ist diese Schreibwerkstatt eine große Erfolgsgeschichte, die auch durch eine beeindruckende Teamarbeit geprägt war.“ _Günter Wohlfarth bedankt sich bei allen am Projekt Beteiligten, insbesondere bei der Ministerin des Landes NRW, Christina Kampmann (MFKJKS) und ihr Team für die Ermöglichung des In Zukunft Projekts.

"Jedes einzelne Theaterstück hat eine Aufführung verdient"
Günter Wohlfarth, Geschäftsführender Direktor WLT
Bettina Milz
 

Keine Robinsone auf einsamer Insel

Bevor Bettina Milz als Vertreterin des Kulturministeriums und Förderers ihre Grußworte an die Teilnehmenden des Projekts richtet, erinnert sie an die Entwurzelung Robert Musils im Exil und seine verzweifelten Versuche, angesichts der existenziellen Bedrohung durch den Zweiten Weltkrieg, seinen Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ zu vollenden. Sie zitiert dabei aus Alexander Kluges „Fontane-Kleist-Deutschland – Büchner“ Buch eine Passage, die ihr für den heutigen Anlass passend erscheint:
„(…)Ich bin der Meinung, dass wir nicht als Robinsone auf einer einsamen Insel sitzen, wenn wir Texte schreiben. Natürlich arbeiten wir einzeln, individuell, aber gerade das ermöglicht eine Verbindung zu denjenigen, die früher gearbeitet haben, und deswegen nenne ich hier Robert Musil, um anzudeuten, dass wir in einem imaginären Laboratorium mit anderen Menschen, die es ernst meinen, leben, wenn wir mit unserem Bleistift vor einem Stück Papier sitzen. (…)“
In ihrer Rede bringt Bettina Milz zum Ausdruck, dass es interessant für das Projekt sein könnte, gemeinsam über neue und gegebenenfalls experimentelle Wege der Realisierung der Theatertexte nachzudenken. Die Erarbeitung des Preisträgerstückes am Landestheater Castrop-Rauxel sei eine wichtige Stütze des Projekts ebenso wie die Kooperation mit dem Suhrkamp Verlag. Darüber hinaus könnten in einer eher prozessorientierten Form neue Zugänge zu neuen Texten – auch mit jungen Theatermachern – erprobt werden.
Die Referentin für Theater und Tanz dankt ausdrücklich allen Beteiligten, insbesondere den Autorinnen und Autoren für die Impulse, die von ihrer Arbeit ausgehen.

Die Erarbeitung des Preisträgerstückes am Landestheater Castrop-Rauxel ist eine wichtige Stütze des Projekts ebenso wie die Kooperation mit dem Suhrkamp Verlag.
Bettina Milz, Kulturministerium NRW
Abschlussveranstaltung PACT Zollverein

Die Juryentscheidung

Anschließend äußert sich Nina Peters zum Förderprogramm für Autor*innen mit Migrationsgeschichte so: „Das Förderprogramm „In Zukunft“ hat in der deutschen Förderlandschaft ein Alleinstellungsmerkmal. Zum einen, weil gezielt AutorInnen mit einem migrantischen Lebenslauf dazu aufgefordert sind, Stücke oder Skizzen einzureichen. Weil dieses Literaturprogramm nicht, wie viele andere, mit einer diskriminierenden Altersbeschränkung arbeitet. Und weil, wer hier ausgewählt wird, wie ich meine, ohnehin schon gewonnen hat. Denn die ausgewählten AutorInnen (in diesem Jahrgang acht), erhalten als Preis für ihre Aufnahme in das Förderprogramm die Teilnahme an einem Workshop mit der Dramatikerin, der Schriftstellerin Maxi Obexer.“

Der Juryentscheidung sei eine lebhafte kontroverse Diskussion vorangegangen, sagt Peters, und auch das sei etwas, was sie an der Initiative schätze, dass dies ein Forum der eigenen Selbstüberprüfung sei und die Möglichkeit schaffe, neue, eigenwillige Stimmen für das Theater zu entdecken. Die Jury zeichnet das Stück „Spiegelblicke“ von Yasmina Ouakidi aus.Nina Peters begründet die Juryentscheidung:

„In Yasmina Ouakidis Stück „Spiegelblicke“ begegnen wir einer jungen, erfolgreichen Schauspielerin Malika ohne Vergangenheit. Ihre Vergangenheit hat sie verdrängt, verdrängt die früh verstorbene deutsche Mutter, verdrängt den aus Algerien eingewanderten Vater, der keine Wurzeln schlagen konnte in der neuen Heimat, sondern Hass und Ausgrenzung erfuhr. (…) Yasmina Quakidis Sprache ist erfrischend „gegenwarts-abbildend“: „Hashtäg Hammerfrau, Häshtäg Hammerkleid, häshtäg Hammerglückwunsch für Malika O Punkt“, raunt das „virtuelle Gemurmel“, das Yasmina Quakidi als Chor aus dem 21. Jahrhundert die Handlung vorantreiben lässt. Die heutige Gegenwart ist eine Gegenwart der Viel-Stimmigkeit, der Gleichzeitigkeit eines vielstimmigen Sounds, und das ist sie auch in „Spiegelblicke“.(…) Die eindrücklichste Szene des Stückes, für mein Empfinden, ist die zwischen dem Vater und dessen Schwager. Der Schwager mimt in der Straßenbahn den Fahrkartenkontrolleur und führt Brahim vor allen Mitfahrenden vor. Es ist ein perfides Rollenspiel und steht stellvertretend für all die Ressentiments und Feindlichkeiten, die dem Eingewanderten innerhalb seiner neuen Familie, innerhalb der Gesellschaft entgegengebracht wurden.“

Des Weiteren gratuliert Nina Peters dem Initiator Christian Scholze vom WLT, der Dramatikerin Maxi Obexer für die Weiterentwicklung des Projekts und die engagierte Leitung der Workshops, Tina Jerman von der EXILE Kulturkoordination für die Betreuung und Bettina Milz vom Kulturministerium zu dieser wegweisenden Initiative aus Castrop-Rauxel, die das Ministerium in sein Förderprogramm aufgenommen hat.

„Wer für „In Zukunft“ ausgewählt wurde, der hat schon gewonnen. Ich gratuliere also allen anwesenden AutorInnen. Und ganz herzlich Yasmina Ouakidi.“, so Nina Peters in ihrer Laudatio.

Wer fürIN ZUKUNFT ausgewählt wurde, der hat schon gewonnen.
Nina Peters, Theaterlektorin Suhrkamp Verlag und Jurymitglied
Yasmina Ouakidi liest
Teilnehmende präsentieren ihre neuen Stücke
 

Katastrophen und Utopien

Das Publikum bekommt nun die Gelegenheit das Preisträgerstück zu hören. Die Autoren, Mehdi Moinzadeh, Kenneth Philipp George und Yasmina Ouakidi selbst lesen drei Szenen aus dem Stück vor, das mit starkem Applaus bedacht wird. Die weiteren Autorinnen und Autoren des Workshops werden von Christian Scholze, Maxi Obexer und der letztjährigen Preisträgerin Tania Folaji vorgestellt. Auf das dialogstarke Einwandererdrama „Spiegelblicke“ folgt der expressionistische Monolog oder der auch ein „Klagelied“ sei, wie die Autorin anmerkt, von Sivan Ben Yishai: „Your very own double crisis club“. Ein sprachgewaltiger Akt der Anklage gegenüber das männlich-kapitalistisch dominierte Zerstörungssystem. Die Zuschauer sind überwältigt von der Präsenz der Autorin und Schauspielerin. Ganz anders dagegen „Das Gespenst der Archivarin“ von Sonja Schierbaum – das konzentrierte Gedankenspiel kreist um die Frage „Freiheit oder Sicherheit“, Davina Donaldson liest die Junge Archivarin, die sich nur für die Freiheit ihres Bankkontos interessiert, während die Alte Archivarin, gelesen von Tania Folaji, zwischen Resignation und Sabotage mäandert. Ein ungemein aktuelles Kammerspiel, das, vor dem Hintergrund der Terroranschläge, unser Demokratie-und Freiheitsverständnis auf den Prüfstand stellt.

Folgerichtig scheint es da, dass nun Mehdi Moinzadehs Stück: „Youtopia/About: Blank oder Niemand hat das Aporiesyndrom“ gelesen wird. Moinzadeh selbst nennt sein Stück „…einen „narrativen Stresstest“ dieser Philosophien der Menschenrechte im Angesicht der kommenden Herausforderungen der Weltgemeinschaft.“ In der Lesung stellt sich der Stresstest zum Glück nicht ein. Im Gegenteil: Die Zuhörer folgen gebannt den „Strandgut Figuren“, Menschen, die an die Ufer ihrer Träume gespült werden, nur um zu erkennen, dass das YOUTOPIA:LAND ein Lager ist, in der die Artikel der Menschenrechte absurder nicht klingen könnten. Die traumatischen Fluchtbilder Moinzadehs werden abgelöst von den hypnotischen eines Brückeneinsturzes. Das Ereignis zieht nicht nur die Brücke in die Tiefe, sondern gleichsam ihren Architekten, die Beziehungen der Stadtbewohner, und die Gesellschaft als Ganzes. Katalin Naszály liest „unter lauter fische“ selbst und beschwört nicht nur eindrücklich das Bild der Katastrophe, sondern stellt auch die Frage nach der Verantwortung des Einzelnen. Starker Applaus. Wie eine Hoffnung am Horizont der realen und imaginierten Katastrophen wirkt da der Epilog des Stückes „Motten“ von Kenneth Philipp George, das er selbst im Wechsel mit Mehdi Moinzadeh liest. Die beiden Autoren sind auch erfahrene Schauspieler und so wird das zweisprachige Lesen, englisch-deutsch, zu einem Wettstreit, wem welcher Text gehört.

Ein ungemein kluger Griff von George, um seinen poetischen Text, der um die Vergeblichkeit allen Besitzes kreist, erst Recht des der Liebe, eine Meta-Ebene hinzuzufügen. Denn in seinem Stück geht es um Gestalten aus Legenden, um Liebe und Vergänglichkeit, aber auch um ein Stück im Stück. So zeigt diese Lesung, auf wunderbare Weise, von „Spiegelblicke“ bis zu „Motten“, die ganze Vielfalt und den ganzen Reichtum an Welten, die die nominierten Autorinnen und Autoren in ihren Stücken geschaffen haben. Das Publikum quittiert die Lesung mit starkem Applaus.

So zeigt diese Lesung, auf wunderbare Weise, von „Spiegelblicke“ bis zu „Motten“, die ganze Vielfalt und den ganzen Reichtum an Welten, die die nominierten Autorinnen und Autoren in ihren Stücken geschaffen haben.
Sivan und Moinzadeh
Tania Folaji spricht
 

In Zukunft – Über die Möglichkeiten der Begrenzung

Eine Art Epilog nach dem Epilog gibt es noch von Tania Folaji, der Autorin und Gewinnerin des In Zukunft II Workshops. Folaji war gleichsam Mentorin der Gruppe. Sie wirft noch einmal einen Blick zurück aus der Perspektive der Teilnehmenden:

“Ich war also gespalten, was diese Bewerbung für In Zukunft anging. Migrationshintergrund ist immer der Marker einer Sonderstellung aus der Perspektive nationalstaatlicher Sicht. Ich bin hier geboren, in Berlin, bin einmal für zwei Jahre nach Hamburg migriert, aber das klappte nicht, ich ging nach Berlin zurück. Das ist die knappe und spannungslose Geschichte meiner Migrationserfahrung. Ich wünsche mir, dass der Begriff Migrationshintergrund verschwindet, sich auflöst oder auf alle Menschen angewandt wird. Wir Menschen sind keine Bäume. Wir haben die Neigung, uns zu bewegen, zu wandern, migrieren.
In mir keimt immer die Hoffnung vor sich hin, dass sich nationalstaatliches Denken auflöst, dieses Denken in Begrifflichkeiten des Blutes, die das Sein zementiert, verschwindet – so dass die In Zukunft-Ausschreibung wie ein Anachronismus auf mich wirkte. Aber letztendlich bin ich Autorin…will schreiben, muss manchmal sogar. Ich überwand meine Bedenken, bewarb mich, wurde genommen. Erstaunlicherweise wurde aus der Be- und Einschränkung Migrationshintergrund meine größtmögliche Freiheit im Arbeiten, der größtmögliche Gewinn – und das kam so: -Wir, die Gruppe der Schreibenden waren zum ersten Mal nicht die anderen. Es gab keinen Zwang zur Verhaltenskonformität.
-Wir waren in der Mehrzahl. Und das fühlte sich gut an.
-Auf den monatlichen Arbeitstreffen diskutierten wir oft, ob unsere ‘gemeinsame’ Erfahrung des Nicht-Zugehörigseins eine Verbindung von uns Autoren untereinander darstellt.
-Gibt es die gemeinsame Sicht auf Deutschland?
-Einer von uns aus dem In Zukunft II-Workshop fühlt Deutschland eine große Dankbarkeit gegenüber. Das ist gut, stellt ihn als Dramatiker aber vor das Problem, unschöne deutsche Geschehnisse nicht angemessen thematisieren zu können. Ich dagegen bemerke oft erst an der Reaktion meines Gegenübers, dass ich nicht die Bio-Deutsche bin, für die ich mich halte, denn ich sehe meine Hautfarbe im Allgemeinen nur im Spiegel. Ein anderer wieder lebte seine zwei Staatsbürgerschaften ohne Probleme.
Damit will ich sagen: Bei In Zukunft wurde der Migrationshintergrund eben nicht vom Problemstandpunkt aus gesehen, und das ist wichtig, fürs Menschsein. Es ist vielleicht paradox, was ich jetzt sage, aber das Ausschlusskriterium Migrationshintergrund wurde für uns zu einem Raum, der die Möglichkeiten in der Begrenzung in sich enthielt. Kompliziert ausgedrückt; aber in der Realität der monatlichen Treffen ein schönes Sein.”

Über das Ergebnis dieses „schöne Seins“ konnten sich alle Anwesenden an diesem Sonntagmorgen überzeugen. Auf industrie-historischem Boden, zwischen Plüsch und Keramik, zwischen Kunst und Maloche wurden sie sichtbar: Neue deutsche Autoren der Gegenwart – vielleicht auch der Zukunft.

Dana Savić

Es ist vielleicht paradox, was ich jetzt sage, aber das Ausschlusskriterium Migrationshintergrund wurde für uns zu einem Raum, der die Möglichkeiten in der Begrenzung in sich enthielt.
Tania Folaji, Letztjährige Preisträgerin

Sechstes In Zukunft Treffen in Berlin
 

Maxi Obexer Gastaufenthalt in Washington

Nach dem ersten wirklich kalten Workshop-Wochenende in Berlin, hat sich Maxi Obexer, Leiterin der Workshops für ein paar Monate von den Teilnehmenden verabschiedet. Sie ist eingeladen, an der Georgetown University (eine der Eliteuniversitäten der USA) Dramentheorie und Dramatisches Schreiben zu unterrichten. Angefragt wurde sie wegen ihrer eigener Stücke.“Illegale Helfer”, Geisterschiff, “Fliegende Holländer”, und dem Roman “Wenn gefährliche Hunde lachen”, sie alle gehen auf das Thema Flucht und Migration ein.
Daher wird sie auch Stücke vorstellen, die in der ‘In Zukunft-Werkstatt’ entstanden sind. Bis zu ihrer Rückkehr gibt es noch viel zu tun für die Autor_innen und Autoren, denn sie befinden sich nun in der Endphase des Schreibens. Tania Folaji und Christian Scholze bleiben auf der Zielgeraden weiterhin beratend ansprechbar. Und wenn der Blizzard, der gegenwärtig über Washington wütet, es zulässt, dann ist auch Maxi Obexer für Fragen der Autoren erreichbar.Im Mai findet dann der letzte In Zukunft III Workshop statt. Und dann heißt es: Abgeben! Die Jury wartet.

"Das ist die große Kunst - die Gegenwart zu füllen"
(Maxi Obexer, Leiterin der Workshops)
Sechstes In Zukunft Treffen in Berlin
 

Maxi Obexer Gastaufenthalt in Washington

Nach dem ersten wirklich kalten Workshop-Wochenende in Berlin, hat sich Maxi Obexer, Leiterin der Workshops für ein paar Monate von den Teilnehmenden verabschiedet. Sie ist eingeladen, an der Georgetown University (eine der Eliteuniversitäten der USA) Dramentheorie und Dramatisches Schreiben zu unterrichten. Angefragt wurde sie wegen ihrer eigener Stücke.“Illegale Helfer”, Geisterschiff, “Fliegende Holländer”, und dem Roman “Wenn gefährliche Hunde lachen”, sie alle gehen auf das Thema Flucht und Migration ein.
Daher wird sie auch Stücke vorstellen, die in der ‘In Zukunft-Werkstatt’ entstanden sind. Bis zu ihrer Rückkehr gibt es noch viel zu tun für die Autor_innen und Autoren, denn sie befinden sich nun in der Endphase des Schreibens. Tania Folaji und Christian Scholze bleiben auf der Zielgeraden weiterhin beratend ansprechbar. Und wenn der Blizzard, der gegenwärtig über Washington wütet, es zulässt, dann ist auch Maxi Obexer für Fragen der Autoren erreichbar.Im Mai findet dann der letzte In Zukunft III Workshop statt. Und dann heißt es: Abgeben! Die Jury wartet.

"Das ist die große Kunst - die Gegenwart zu füllen"
(Maxi Obexer, Leiterin der Workshops)

Kein Ort.Nirgends?
 

Kein Ort.Nirgends?

4. Workshop-Treffen der In Zukunft III AutorInnen

Als Christa Wolfs berühmte Erzählung einer fiktiven Begegnung zwischen Heinrich von Kleist und Karoline von Günderrode in der DDR erschien, war die israelische Autorin Sivan Ben Yishai gerade ein Jahr alt und ein Teil der Welt feierte den israelisch-ägyptischen Friedensvertrag, deren Unterzeichner Sadat und Begin mit dem Friedens-Nobelpreis ausgezeichnet wurden. 36 Jahre später wird Sivan Ben Yishai in ihrem Stück „Your very own double crisis club“ feststellen, dass eine israelische Künstlerin kein Recht hat in Israel zu sein, so lange die Verhältnisse so sind, wie sie sind. Aber sie hat auch kein Recht darauf in Berlin eine künstlerische Heimat zu finden, meint Sivan. Christa Wolf schrieb die Erzählung über zwei künstlerische Außenseiter, Freigeister und Selbstmörder als eine Antwort auf die Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR. Die im 19.Jh. verortete Erzählung “Kein Ort.Nirgends.“ deutet verdeckt darauf, dass es für freie Künstler in der DDR keinen Platz gibt. Nirgends. Für Sivan hat sich der Radius des „Nirgends“ erweitert. Und nicht nur für sie.

Das Gemächte der Mächtigen

Sivan Ben Yishai hat einen neuen Text geschrieben, der gleichwertig neben den Texten über Tel Aviv und Berlin, über Kunst und Körper und über die Unver-einbarkeit eines scheinbaren Allleskönnens und eines radikalen Nichtwollens steht. In einer männerdominierten Welt, deren sichtbarstes und banalstes Herrschaftsinstrument der Penis zu sein scheint, wirkt auch diese „private crisis“ Passage alles andere als privat. Sivan trägt sie wie einen großen Klagegesang an einer Mauer vor, atemlos treibend, ein endloses Wortspiel, das über sich in den politischen Raum hinauswächst:

„(…) so once upon a time there was a man and a man and a man with a dick and a dick and a dick and they were talking and talking in the evening news, and they were hosting and hosting the morning shows so they can be dramatically stopped by breaking news in which old men with important dicks – are being shown hugging young men with unimportant dicks – and sending them to take on oath, with the right hand on the dick, and then go on marching fort the country with their young dicks and hard knives and running in the streets and the streets are full of dicks…(…) So sounds of bass and bears and beards and the earth is trembling from the bottom when another dick-tator is developing another dick-bomb or another SDS Secret-Dick-Service, and an activist dick is sitting in a feminist dick-disk-discution and says „come on, enough with the dick all the time, enough with the dick! It was too much dick for me! Don’t you have some other dicks to talk about? (…)“

Auf Nachfrage erklärt Sivan noch einmal: „There is no space to go.“ Daher ist in ihrer Vorstellung, die Bühne leer und die Schauspielerin nur über eine Computerleinwand anwesend. Es bleibt die Sprache, die weit mehr entfalten kann, als ihre körperliche Sichtbarmachung auf der Bühne. Die Bühne bleibt nackt, sonst nichts.

Kunst, Wahrheit und Wirklichkeit

Am Sonntag, 8.November, wird Tania Folajis Stück „Disco Hurghada“ im WLT uraufgeführt. Einige Teilnehmer werden bis zur Premiere bleiben können, andere müssen, nach dem Workshop, weiter reisen – die Zeit ist stets knapp, denn über jede weitere Textentwicklung wird intensiv diskutiert.

Auch Adnan Softić hat etwas Neues mitgebracht. Der Autor liest den Bericht eines geflüchteten afghanischen Jungen vor, sowie seine Parabel „Kaffee“ über das Verhältnis zwischen Gast und Gastgeber. Daneben hat er auch das Gedicht „In der Fremde“ von Joseph von Eichendorff, das Robert Schumann im Liederkreis Op.39 vertont hat, eingearbeitet. Es ist eine großangelegte, vielfältige Textsammlung, die aus dokumentarischen Zeugenaussagen, eigener biografischen Erinnerung und fiktiven Dialogen besteht. Die Runde findet gerade die fiktiven Text-Passagen mit ihren Fragestellungen interessant. Es wird darüber diskutiert, welchen Stellenwert die Zeugnisse der Flüchtlinge in einem Theaterstück haben können, wenn ähnliche Berichte momentan über alle Kanäle zu sehen und zu hören sind und bereits zu einem Teil des medialen Alltags geworden sind. Wie soll man sich die Figuren auf der Bühne vorstellen? Adnan sagt, es sei ihm wichtig, dass die Berichte der Flüchtlinge von Laien gesprochen werden, nicht von Schauspielern.

Mehdi Moinzadeh macht auf die 10 Punkte Forderung von Tania Canas aufmerksam, künstlerische Direktorin von RISE (Refugees, Survivers and Ex-dataaines) einer Selbsthilfe-Organisation aus Australien. Kern ihrer Botschaft an die Künstler ist: „ Wir sind nicht Euer künstlerisches Material“. Ja, genau, findet Adnan, genau diesen Missbrauch will er vermeiden. Nachdem er die auf englisch verfasste Forderung der Flüchtlinge vorgelesen hat, entspannt sich eine Diskussion über den richtigen Umgang mit Opfergeschichten im Allgemeinen und Flüchtlingsgeschichten im Besonderen.
Sind wir wirklich auf einer Augenhöhe mit den Menschen, deren Geschichten wir verarbeiten? Gibt es überhaupt eine Augenhöhe? Einer der Fragen, die Adnan Softić umtreibt, ist: „Wie findet man eine gemeinsame Sprache an einem Ort der Gegenwart, wenn man keine gemeinsame Geschichte hat?“

Dass dieses Ringen eines Autors um den richtigen Weg, nicht nur einsam am heimischen Schreibtisch geschieht, sondern in einem Workshop gemeinsam offenbart und diskutiert wird, ist eines der Stärken von In Zukunft III. Welche Früchte das Projekt tragen kann, wird man am Abend erfahren, wenn „Disco Hurghada“, als Ergebnis des In Zukunft II Workshops, das Licht der Öffentlichkeit erblickt.
Dana Savic

Disco Hurghada

RISE,Tania Canas

„In meiner Heimat gibt es ein Wort: Kahven – disati: es lässt sich nicht treffend ins Deutsche übersetzen. Disati heißt Atmen. Mit dem Kaffee Zeit verbringen und atmen. Aber vielmehr verbringt man die Zeit mit seinem Gast oder Freund und atmet gemeinsam.(...) Lassen Sie mich Ihr Gastgeber sein. Lassen Sie uns gemeinsam atmen.“ ( Auszug aus „Nicht mehr und noch nicht.“ )
Adnan Softić, IN ZUKUNFT III -Teilnehmer
Adnan Softic - Teilnehmer In Zukunft III
Vom Gespenst der Archivarin zum Gespenst der Freiheit
 

“Und was machen Sie mit diesen Ideen? Freiheit und so…” “ Ich lasse sie zirkulieren. Im System. Im System des Kollektivs. Hören Sie? Wie es rauscht?”
(Das Gespenst der Archivarin)

"Warum sind wir hier? Es geht um die Vielfalt dramatischer Formen."
Maxi Obexer, Leiterin des Workshops
Vom Gespenst der Archivarin zum Gespenst der Freiheit
 

“Und was machen Sie mit diesen Ideen? Freiheit und so…” “ Ich lasse sie zirkulieren. Im System. Im System des Kollektivs. Hören Sie? Wie es rauscht?”
(Das Gespenst der Archivarin)

"Warum sind wir hier? Es geht um die Vielfalt dramatischer Formen."
Maxi Obexer, Leiterin des Workshops
Vom Gespenst der Archivarin zum Gespenst der Freiheit
 

“Und was machen Sie mit diesen Ideen? Freiheit und so…” “ Ich lasse sie zirkulieren. Im System. Im System des Kollektivs. Hören Sie? Wie es rauscht?”
(Das Gespenst der Archivarin)

"Warum sind wir hier? Es geht um die Vielfalt dramatischer Formen."
Maxi Obexer, Leiterin des Workshops

Deutschland im Herbst

Castrop-Rauxel, 10.Oktober. Während die letzten TeilnehmerInnen des „In Zukunft“ Workshops zur Probebühne des WLT eilen und ihre Koffer über den holprigen Hinterhof rollen, kommen die neusten Meldungen über den Ticker: Verheerender Anschlag in Ankara – 86 Tote, über 200 Verletzte. Und das während einer friedlichen Demonstration. Die Zeitungen, die die Teilnehmer
Innen während ihrer Zugfahrt gelesen haben, sind voll von Flüchtlingsgeschichten, Flüchtlingsrouten, neusten Statistiken. Wird Deutschland eine Million Flüchtlinge menschenwürdig aufnehmen können? Die Nation ist gespalten zwischen „Willkommenskultur“ und „Abschottung“. Von „Notwehr“ ist die Rede. Von „Transitzonen“. Vom „Untergang des deutschen Volkes“. Vom „Untergang des freien demokratischen Europas“. Je nach Perspektive.

Wie kann man die Idee der Freiheit retten?

Es ist gut, finden die Teilnehmer, dass immer jemand anderes als man selbst, das eigene Stück liest. So gewinnt man noch mehr Distanz. „Im Archiv“ von Sonja Schierbaum heißt nun „ Das Gespenst der Archivarin.“ Ähnlichkeiten mit dem Titel „Das Gespenst der Freiheit“ sind vermutlich beabsichtigt. Sonja hat ihrer einsamen Archivarin, die die Hüterin der Idee von Freiheit ist, eine junge Kollegin zur Seite gestellt. Es gibt also eine „alte“ und eine „neue“ Archivarin. Das birgt viele Möglichkeiten finden alle anderen und malen sich schon die tollsten Szenarien aus. Doch Maxi Obexer stellt eine gemeine Frage: „ Wie kann man die Idee der Freiheit retten? Hockt die „alte“ Archivarin auf diesem Gut der Freiheit und sperrt es letztlich genauso ein, wie dies ihr Vorgesetzter fordert, der es wegsperren möchte, um es von einer unbekannten Bedrohung zu schützen, oder lässt sie die Freiheit gedeihen und wuchern wie ein Pilzsystem?“ Die anschließende Diskussion wirft mehr Fragen auf als dass sie Antworten gibt. Doch das ist von der Workshop-Leiterin gewollt. Nur so lassen sich neue Erzählpfade entdecken.

Ein Dialog bringt das Unlösbare hervor

Am nächsten Tag ist die Gruppe überrascht, wie sehr” “Havva Gülcan Ayvaliks”:“/inzukunft/2015-2016/teilnehmende/ Stück „Am Ende des heutigen Tages“ an Fahrt und Schärfe gewonnen hat.Die TeilnehmerInnen finden, dass der Vater, der als Gastarbeiter nach Deutschland kam, viel komplexer geworden ist. Gülcan lässt ihn, den Witwer, seine Liebschaften mit anderen Frauen Revue passieren, während der Leichnam seiner Frau, im Nebenzimmer, aufgebahrt liegt. Zu einem Sympathieträger wird er dadurch nicht. Und das ist gut so, findet Maxi Obexer. Gülcan hat einen heftigen Dialog zwischen Vater und Tochter eingebaut. Die Leiterin verweist auf den Unterschied zwischen Gespräch und Dialog: „Ein Dialog bringt das Unlösbare hervor“, sagt sie. Wie geht es weiter? Gülcan möchte weiterhin den Geist der Mutter auftreten lassen. „Warum?“, fragen sie die anderen und „steckt in der Figur der Tante Songül nicht noch mehr drin? Könnte man sie nicht ausbauen?“ Wieder ein Denkanstoß, wieder neue Möglichkeiten.” Kenneth George”:/inzukunft/2015-2016/teilnehmende/ ist nun an der Reihe. Er hat an dem Brautpaar gearbeitet und prompt noch eine Vielzahl an neuen Handlungssträngen, Entwicklungen und Verwicklungen weiter gesponnen. Alle hören ihm gebannt zu. man weiß zwar jetzt immer noch nicht so genau, wohin die Reise geht, aber das wusste der Fliegende Holländer, der ewige Wanderer, auch nicht. Es bleibt spannend.
Dana Savic

"Du kannst nur mit einem Mythos arbeiten, wenn du etwas Konkretes hast."
Maxi Obexer Leiterin des Workshops

Deutschland im Herbst

Castrop-Rauxel, 10.Oktober. Während die letzten TeilnehmerInnen des „In Zukunft“ Workshops zur Probebühne des WLT eilen und ihre Koffer über den holprigen Hinterhof rollen, kommen die neusten Meldungen über den Ticker: Verheerender Anschlag in Ankara – 86 Tote, über 200 Verletzte. Und das während einer friedlichen Demonstration. Die Zeitungen, die die Teilnehmer
Innen während ihrer Zugfahrt gelesen haben, sind voll von Flüchtlingsgeschichten, Flüchtlingsrouten, neusten Statistiken. Wird Deutschland eine Million Flüchtlinge menschenwürdig aufnehmen können? Die Nation ist gespalten zwischen „Willkommenskultur“ und „Abschottung“. Von „Notwehr“ ist die Rede. Von „Transitzonen“. Vom „Untergang des deutschen Volkes“. Vom „Untergang des freien demokratischen Europas“. Je nach Perspektive.

Wie kann man die Idee der Freiheit retten?

Es ist gut, finden die Teilnehmer, dass immer jemand anderes als man selbst, das eigene Stück liest. So gewinnt man noch mehr Distanz. „Im Archiv“ von Sonja Schierbaum heißt nun „ Das Gespenst der Archivarin.“ Ähnlichkeiten mit dem Titel „Das Gespenst der Freiheit“ sind vermutlich beabsichtigt. Sonja hat ihrer einsamen Archivarin, die die Hüterin der Idee von Freiheit ist, eine junge Kollegin zur Seite gestellt. Es gibt also eine „alte“ und eine „neue“ Archivarin. Das birgt viele Möglichkeiten finden alle anderen und malen sich schon die tollsten Szenarien aus. Doch Maxi Obexer stellt eine gemeine Frage: „ Wie kann man die Idee der Freiheit retten? Hockt die „alte“ Archivarin auf diesem Gut der Freiheit und sperrt es letztlich genauso ein, wie dies ihr Vorgesetzter fordert, der es wegsperren möchte, um es von einer unbekannten Bedrohung zu schützen, oder lässt sie die Freiheit gedeihen und wuchern wie ein Pilzsystem?“ Die anschließende Diskussion wirft mehr Fragen auf als dass sie Antworten gibt. Doch das ist von der Workshop-Leiterin gewollt. Nur so lassen sich neue Erzählpfade entdecken.

Ein Dialog bringt das Unlösbare hervor

Am nächsten Tag ist die Gruppe überrascht, wie sehr” “Havva Gülcan Ayvaliks”:“/inzukunft/2015-2016/teilnehmende/ Stück „Am Ende des heutigen Tages“ an Fahrt und Schärfe gewonnen hat.Die TeilnehmerInnen finden, dass der Vater, der als Gastarbeiter nach Deutschland kam, viel komplexer geworden ist. Gülcan lässt ihn, den Witwer, seine Liebschaften mit anderen Frauen Revue passieren, während der Leichnam seiner Frau, im Nebenzimmer, aufgebahrt liegt. Zu einem Sympathieträger wird er dadurch nicht. Und das ist gut so, findet Maxi Obexer. Gülcan hat einen heftigen Dialog zwischen Vater und Tochter eingebaut. Die Leiterin verweist auf den Unterschied zwischen Gespräch und Dialog: „Ein Dialog bringt das Unlösbare hervor“, sagt sie. Wie geht es weiter? Gülcan möchte weiterhin den Geist der Mutter auftreten lassen. „Warum?“, fragen sie die anderen und „steckt in der Figur der Tante Songül nicht noch mehr drin? Könnte man sie nicht ausbauen?“ Wieder ein Denkanstoß, wieder neue Möglichkeiten.” Kenneth George”:/inzukunft/2015-2016/teilnehmende/ ist nun an der Reihe. Er hat an dem Brautpaar gearbeitet und prompt noch eine Vielzahl an neuen Handlungssträngen, Entwicklungen und Verwicklungen weiter gesponnen. Alle hören ihm gebannt zu. man weiß zwar jetzt immer noch nicht so genau, wohin die Reise geht, aber das wusste der Fliegende Holländer, der ewige Wanderer, auch nicht. Es bleibt spannend.
Dana Savic

"Du kannst nur mit einem Mythos arbeiten, wenn du etwas Konkretes hast."
Maxi Obexer Leiterin des Workshops
Das erste Treffen der TeilnehmerInnen In Zukunft III
 

Worum geht’s?

Eine Workshop Reportage des ersten Treffens In Zukunft III

Draußen geht einer dieser vermutlich letzten heißen Sommertage vorüber. Drinnen, im kühlen Theater-Studio, brennen die neuen Autoren und Autorinnen darauf, sich kennenzulernen und ihre Stücke vorzustellen. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde ist die Stunde der Wahrheit gekommen: Wer will anfangen? Wer wagt als Erste oder als Erster Auszüge seines Stückes dem kritischen Auditorium vorzulesen? Wer legt all’ die Probleme offen, die er mit seinen Figuren, seiner Grundidee oder mit sich selbst als Autor hat? Worum geht’s eigentlich? „Das wird die zentrale Frage um die niemand herumkommt, und sie wird uns den ganzen Workshop über begleiten“, warnt die Leiterin Maxi Obexer.

Yasmina Ouakidi stellt ihr Stück „Blut.Hoffnung.Wolke.“ vor: „Ich glaube, es geht um Identität.“ Auslöser ist ein glückliches Ereignis. Die Hauptfigur Malika Bulut hat gerade die Schauspielprüfung bestanden, doch sie hat niemanden, mit dem sie feiern kann. Dann begegnet sie einem Türsteher, der ihr manche Türen öffnet und andere verschließt. Yasmina zählt weitere Figuren auf: „Eine verstorbene Mutter, ein abwesender Vater, ein Halbbruder, der sich umgebracht hat. Es geht um das Land der fünf Figuren, es geht um Algerien. Ich glaube, ich will das Schweigen thematisieren.“ Yasmina entschuldigt,dass alles so tragisch klingt. „Was ist der Anlass für Malika zu sprechen? Und zu wem spricht sie?“, fragt die Leiterin. „Und wer ist der Türsteher?“, kommt es aus der Runde. Der Türsteher beschäftigt die Workshop-Teilnehmenden noch eine ganze Weile. Ist er Bruder im Geiste? Ist er allmächtig? Wie steht er zu Malika? Yasmina möchte gerne weiter an der Verbindung ihrer Hauptfigur mit der Figur des Türstehers arbeiten.

Katalin Naszály erzählt, wie es dazu gekommen ist, dass sie ihr Stück „Rebeca – oder der zerstörte Ort“ genannt hat, wie sehr sie es liebt, mit der Sprache zu spielen und dass die Begegnung mit einem Teenager gleichen Namens den Ausschlag gegeben hat. Sie liest die ersten Seiten. Ihre Sprache ist wie Musik, die Gruppe ist von ihren Bildern sehr angetan. Doch nicht zu wissen, ob Rebeca eine zerstörte Stadt oder eine Person oder eine Brücke ist, macht der Runde zu schaffen. Vor allem vor dem Hintergrund vieler real zerstörter Orte durch Krieg und andere Katastrophen. Maxi Obexer merkt an: „ Die Sprache zieht mich rein, die Motive verheißen Vieles. Versuche dahinterzukommen, was diese Stadt zu bedeuten hat? Weshalb ist die Brücke eingestürzt? Und wer hat es verschuldet?“ Katalin denkt an Budapest, an eine Erinnerung, als sie eine Brücke im Traum einstürzen sah und sie am anderen, sicheren Ufer, Zeugin der Katastrophe wurde. Sie wird versuchen, sich klar zu machen, welche Erwartungen beim Lesenden schon am Anfang des Stückes geweckt werden sollen.

Was ist das Problem?
 

Kenneth George zählt die Figuren seines Stückes „Motten“ auf: Der Fliegende Holländer als ewiger Wanderer, dem Kenneth sich als Autor verwandt fühlt, eine japanische Dichterin, Braut und Bräutigam und zwei Clowns. Ihn beschäftigt die Sehnsucht, das Begehren, das die Menschen am Leben hält. „Ist der Augenblick totaler Hingabe genug, um das Leben zu umarmen?“, fragt er. Auch Kenneth liest die ersten Seiten, die Runde ist amüsiert und kann sich, nach den ersten Seiten, das Stück auf der Bühne gut vorstellen. Doch was ist sein Problem? Er nennt die Figuren „Braut“ und „Bräutigam“, die noch zu wenig gezeichnet sind und er weiß auch nicht wirklich, wohin seine vier Hauptfiguren gehen. Maxi Obexer macht auf die Möglichkeiten der konträren Liebesmotive aufmerksam: Der Fliegende Holländer, der aus seiner ewigen Verdammnis durch die Meere zu segeln nur durch Liebe erlöst werden kann und die japanische Dichterin Ono no Kamachi, die zu Tode geliebt wurde, ohne selbst lieben zu können. Kenneth wird weiter an seinen Figuren feilen und den eigentlichen Konflikt in seinem Stück herausarbeiten.

Pause. Noch einmal frische Luft schnappen, die milde Abendsonne genießen, die Workshop-Gruppe zerstreut sich vor dem Eingang des WLT. Es gilt, das Gesagte sacken und die vielen verschiedenen Stimmen verklingen zu lassen. Einmal über Belangloses reden, die Zugfahrt, das Wetter, den letzten Urlaub. Und dann natürlich wieder Berufliches: Was sind Deine nächsten Projekte?

Nach der Pause
 

Nach der Pause trägt Sivan Ben Yishai ihren Monolog vor: „Your very own double crisis club.“ „Es geht um eine Person, die den Boden unter den Füßen verloren hat und es geht um die Großstädte Berlin und Tel Aviv“, sagt Sivan. Und es geht darum, dass sie sich in keiner der beiden Städten aufgehoben fühlt. Die Runde ist beeindruckt von der Kraft und der Leidenschaft des Textes, vor allem aber auch von der Intensität, mit der er vorgetragen wurde. Sivan befürchtet, dass der Monolog als reine Schimpftirade empfunden werden könnte. Doch Maxi Obexer sieht in ihm eine gesellschaftskritische Ebene und ermuntert Sivan in diesem treibenden, wütenden Stil weiter zu schreiben, bis sie sich verausgabt, dann werde man weiter sehen.

Adnan Softić beschreibt sein Stück “Nicht mehr und noch nicht“ als Textsammlung. In ihr äußern sich unterschiedliche Menschen zum Thema Fremdsein und Heimat. Adnan möchte versuchen der Textsammlung eine lineare Erzählstruktur zu geben, aber er ist nicht sicher,ob sie funktioniert. Inhaltlich geht es ihm darum, den Heimatbegriff zu klären. „Was ist das, was man meint zu verlieren? Und dann interessiert mich auch die Fremdenfeindlichkeit und die Frage: Was hassen wir, wenn wir hassen?“, erläutert der Autor. Die Gruppe findet die Fragen, die seine Texte aufwerfen wichtig und erzählt von ihren eigenen Erfahrungen der Zugehörigkeit und Ausgrenzung, aber auch über Formen von „Selbstrassismus“ nach der Emigration. Adnan hat bislang einige Texte auf der Bühne mit Videoinstallationen inszeniert. Doch jetzt soll „Nicht mehr und noch nicht“ als dramatischer Text anderen Theatermachern zur Verfügung stehen. „Was würde den Text zu einem dramatischen Text machen?“, fragt die Leiterin. Und sie fügt hinzu: „Das Bild kann stärker sein, wenn es sprachlich verbildlicht wird. Ich finde die Unterschiedlichkeit der Texte gut, sie haben Potenzial zur chorischen Anordnung. Du musst versuchen hinter die sprachliche Medialität zu kommen.“

Adnan wird es versuchen, so wie alle anderen Teilnehmenden des Workshops an ihren Stücken weiter arbeiten werden. Es ist spät geworden. Morgen ist auch ein Tag, dann werden Havva Gülcan Ayvalik, Yade Yasemin Önder, Mehdi Moinzadeh und Sonja Schierbaum ihre Stücke vorstellen. In einem Monat sehen sich dann alle wieder, und man wird der Frage, um was es wirklich geht, ein ganzes Stück näher gekommen sein.

Dana Savic

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