Markus Kordisch #1: Ein Bühnenmeister erzählt

Hallo, mein Name ist Markus Kordisch und ich war bis zum Sommer 2013 Bühnenmeister an unserem Castrop-Rauxeler Theater – diesem merkwürdig wunderbaren Haus, das ich für meine nächste Destination Kanada verlassen habe.

Ehrlich gesagt, ich habe vor meinem Theaterleben noch nie so viele Bekloppte auf einem Haufen kennen gelernt! Wenn ich Montagmorgens in den Techniker-Aufenthaltsraum komme, dann sitzen da 10-15 männliche Personen rum, die sich um den Kaffee prügeln und dabei über die Fußballspiele vom Wochenende, die neuesten Polit-Sensationen und das letzte Album von Heino reden.
Dann macht man sich auf den Weg in sein Büro, grüßt freundlich an jeder offenen Tür und wird auf dem Flur schon von einer Person aufgehalten, die Dir irgendwas erzählt, was für sie total wichtig ist und einem selbst völlig egal … Es wird irgendwas für irgendwelche Proben gebraucht. Angefangen bei einem Kabel, über Möbelstücke, bis hin zu einem Trabi! Und auch wenn man es schon zig mal erwähnt hat, dass es Kabel bei der Beleuchtungsabteilung gibt und nicht in der Bühnentechnik, wird es gekonnt ignoriert und nebenbei gefragt, ob wir denn das Bühnenbild schon so abgeändert haben, wie es am Samstagabend auf den Anrufbeantworter gequatscht wurde.

Die nächsten Schritte in Richtung Büro sind getan, aber auch hier lauert ein Übeltäter!
Er tritt aus dem Büro heraus, es sieht ein wenig so aus als hätte er dort Übernachtet – nichts ungewöhnliches in diesem Beruf – und fragt mich, ob wir das Theaterstück X auch auf einer Bühne spielen können, die 4,50m tief ist? Ich frage wie das funktionieren soll, weil die normale Tiefe 14m beträgt! Die Person verzieht das Gesicht, dreht sich um und knurrt „Ist egal, ist eh schon dahin verkauft …“.

Ich habe die Tür zum Büro endlich erreicht, ich öffne sie – puh, endlich geschafft! Mein Reich, hier hab ich meine Ruhe … denkste, schon geht die Tür auf und mein Chef steht im Raum.
Kleiner Smaltalk, dann kommt er zum eigentlichen Grund seines Besuches: Wir haben weder genug Platz auf dem LKW für das Bühnenbild, die Requisiten, Dekoration und den ganzen Firlefanz, noch genug Personal um all das bewerkstelligen zu können. Aber wir müssen das schaffen!
Und wir schaffen es – IMMER!

Nachdem man Pi-mal-Daumen abgeschätzt hat, was heute zu tun ist, geht man wieder runter in den Aufenthaltsraum um die Aufgaben zu delegieren (es ist echt prima Meister zu sein!), aber es ist keiner da! Mal am Raucherplatz schauen – nichts. Mal am anderen Raucherplatz schauen – wieder nichts. Die werden doch nicht etwa…? Doch! Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Sie haben selbständig die Arbeit aufgenommen und machen sogar etwas Sinnvolles! Ich bin so stolz auf meine Jungs! Dann gebe ich die Aufgaben weiter und hoffe, dass sich keiner verletzt.

Beim Mittagessen muss ich mir dann so nervige Fragen gefallen lassen wie: „Na, wie geht’s?“, oder auch „Alles klar?“. Aber wenn ich das auch überstanden habe, ist der Feierabend nicht mehr fern. Man geht mal kurz in die Schlosserei um sich über die neuesten Fortschritte bei der Lösung eines unlösbaren Problems aufklären zu lassen und lässt sich von den Kollegen erklären, warum die Arbeitsaufträge von heute morgen nicht alle auszuführen waren.
Feierabend.

Am liebsten gehe ich auf Abstecher (= Aufführungen in anderen Städten), für die Schauspieler ist es wie eine Klassenfahrt – für die Technik wie ein überdimensionales Überraschungs-Ei, man weiß nie was man bekommt. Ich quäle mich in aller Herrgottsfrühe, 12 Uhr oder so, in den LKW, komme nach langer, manchmal sehr langer Fahrt am Spielort an, schaue auf die Bühne und denk „Ach Du sch…, wie sollen wir denn hier das Bühnenbild draufkriegen?“ Ich halte kurz Rücksprache mit dem Beleuchtungsmeister und fange an, dieses riesige Puzzle zusammen zu fügen. Vier Stunden später steht das Bühnenbild, meistens hat sich keiner ernsthaft verletzt und alle Leben noch – puh, wieder Glück gehabt, dem Tod nochmal ebenso von der Schippe gesprungen! Jetzt ist die Beleuchtung dran, Einleuchten und so, das heißt, jeden einzelnen Scheinwerfer dahin drehen wo er hin muss! Die Bühnentechnik macht in der Zeit Mittagspause – wow! Sonne! In diesen Betonbunkern kriegt man ja nichts mit, keine Sonne, keinen Regen, keinen Tagesablauf. So, der Hunger ist gestillt – leider war nur wieder Zeit und Geld für irgend so eine Junk-Food-Mist übrig. Egal, der Hunger treibts rein..

Der Bus mit den Gauklern kommt. Meist begrüßt man sich freundlich. Fräulein Schmidt rennt barfuß über die Bühne und der Regieassistent fragt, ob es keine andere Möglichkeit gab das Bühnenbild aufzubauen- zu spät, alles festgeschraubt und eingeleuchtet. Während die einen Schauspieler in der Maske sind und die anderen sich aufwärmen, hat man auch mal Zeit ein paar private Worte mit einander zu wechseln – seltene, aber schöne Momente in unserem Berufsleben.

Zwanzig Uhr, das Stück beginnt. Ich hock’ mich in der Seitenbühne auf irgendeine Kiste und lese ein Buch oder quatsche mit den Darstellern, die grade nicht im Scheinwerferlicht stehen. Das Stück ist zu Ende, Applaus erschallt – ich freu mich, für die Darsteller und auch für mich! Wir haben es mal wieder geschafft, die Zuschauer hatten einen, hoffentlich, kurzweiligen Abend, die Schauspieler konnten ihren Text noch und ich darf endlich anfangen abzubauen. Ein Stündchen Abbau und die Heimfahrt, dann ist es geschafft. Und hoffentlich sind heile nach Hause gekommen …

Das Tolle an unserem Haus ist, dass man sich auch mal austesten darf, dass man einfach mal etwas probieren darf, auch wenn man selbst noch nicht weiß, ob es gut geht, oder nicht – die anderen wissen es. Man darf Gabelstapler fahren, mit Gewehren schießen, Panzersperren hochklettern und Mönchskutten tragen. Ich als Techniker durfte bei zwei Produktionen sogar auf der Bühne so tun, als könnte ich das, was unsere Darsteller jahrelang studieren. Man spielt Open Air, auf großen Bühnen, in Schul-Aulen und Krankenhäusern. Man lernt viel und kann sein Wissen weitergeben. Man lernt Menschen kennen und gewinnt neue Freunde.
Danke Freunde.