Weil unsere Premiere von “Die unendliche Geschichte” im Februar aus bekannten Gründen abgesagt werden musste, gibt es nun vorab die Aufzeichnung bei “Digitales WLT” zu sehen. Während der Proben trafen wir Regisseurin Karin Eppler und Ausstatter Marc Mahn zum Interview über ihr neuestes Stück.
Hier geht’s direkt zum Video! Wir wünschen beste Unterhaltung mit unserer Inszenierung.
WLT: Karin, du hast erzählt, dass „Die unendliche Geschichte“ in deiner Kindheit zu Weihnachten unter dem Tannenbaum lag. Hat dich das Buch bis heute begleitet?
Karin Eppler: „Die unendliche Geschichte“ hat mich damals stark fasziniert, weil das Buch etwas total Neues war. Es hatte nicht nur einen besonderen Inhalt, sondern auch eine ganz spezielle Form. Alles, was in der Realität passierte, war rot gedruckt und alles, was in der Fantasiewelt geschah, in grünen Buchstaben. Das war komplett faszinierend. Das Buch hat mich insofern begleitet, als dass es eines der wenigen Kinderbücher ist, das bei all meinen Lebensstationen immer mit umgezogen ist. Und bei der Dicke des Buches will das schon etwas heißen.
WLT: Was fasziniert dich so daran?
Karin Eppler: Michael Ende hat ein Mitfieber-, ein Mitleb-Buch geschrieben. Ende selbst sagte mal, dass für ihn Geschichten nur wertvoll sein, wenn die Leser*innen selbst etwas hinzufügen, ihre eigenen Emotionen miteinfließen lassen können. Er liefert uns sozusagen eine Plattform, die wir als Leser*in respektive Zuschauer*in nutzen können, um unsere eigenen Fantasien auszuleben.
WLT: Aber die Hauptfigur Bastian ist ein absoluter Außenseiter.
Karin Eppler: Bastian ist eine liebenswerte Tiefstatusfigur. Wir haben es mit einem bebrillten Jungen zu tun, der in der Schule nicht sonderlich gemocht, ja sogar gemobbt wird. Trotzdem haben wir absolute Sympathie mit ihm und dürfen mit ihm auf diese Reise gehen, die er in der Fantasie beim Lesen macht. Jede Hauptfigur braucht irgendetwas, das sie dem Publikum ein bisschen näherbringt. Ich glaube, dieses nicht Perfektsein, dieses nicht Geliebtwerden sind Punkte, wo jeder sich ein kleines Stückchen identifizieren kann. Es macht uns als Zuschauer*in mehr Freude, wenn jemand, von dem wir es überhaupt nicht geglaubt haben, eine mutige Entscheidung trifft.
WLT: Warum ist das Werk heute immer noch so beliebt?
Karin Eppler: Das Buch ist für mich heute möglicherweise aktueller denn je. Nicht nur, weil es eine fantastische Geschichte mit wunderbaren Figuren ist, sondern weil es eben so viel Luft und Raum für die eigene Fantasie lässt. Außerdem hat es sich in seinem Kern, was es erzählen mag, seit vierzig Jahren nicht großartig verändert. Wenn wir schauen, welche Themen in der unendlichen Geschichte angesprochen werden, muss man sagen, dass sich die Welt seit 1979 nicht sonderlich zum Besseren verändert hat. Michael Ende beschreibt in seinem Werk das Nichts. Es frisst vieles auf in Phantásien, ganze Urvölker und Teile des Landes sind verschwunden. Im übertragenen Sinne steht heute das Nichts vor der Kinderzimmertür. Denken wir an die Bewegung um Greta Thunberg. Klimawandel, Artensterben – das ist leider Realität. Wir können noch viele weitere Themen finden, wo wir erkennen, dass die Ängste, die dort verhandelt werden, nicht nur zwischen zwei Buchdeckeln, sondern direkt vor dem Kinderzimmer stehen. Das Schöne an dem Buch ist aber, dass die Leser*innen die Geschichte auf einer fantasievollen Ebene, weit weg von sich selbst abhandeln können, gleichzeitig aber alles miterleben können, dass sie am Ende genauso gebeutelt, aber auch genauso froh, genauso verändert herauskommen wie Bastian.
WLT: Worauf liegt der Fokus deiner Bühnenfassung?
Karin Eppler: Wir haben sehr früh gesagt, dass wir ungefähr die erste Hälfte des Buches zeigen möchten. Bis dahin haben wir alles, was wir erzählen möchten. Man kann sagen, dass die Geschichte an diesem Punkt inhaltlich abgeschlossen ist. Das heißt, Bastian wird in das Buch quasi hineingezogen, traut sich aber noch nicht gänzlich.
Michael Ende glaubte, dass es einen Umkehrschluss gibt: Wer einmal in der Fantasiewelt unterwegs war und dort etwas bewirkt hat, kann wieder zurück in die Realität kehren und bemerken, dass er seinen Blickwinkel ändern kann, um dann möglicherweise wieder in die Fantasiewelt aufzubrechen. Es ist ein ewiger Kreislauf, man kann hinein- und heraustreten, das Eine bedingt das Andere. Fantasie ist bei Michael Ende nicht nur immer das Gute, Schöne und Nette, sondern bedeutet auch unangenehme Visionen, Albträume, schlechte Gedanken. Das heißt: Fantasie ist immer das, was man daraus macht! Dieser Aspekt war mir bei der Bearbeitung sehr wichtig. Dass man nicht nur sagt, Fantasie ist etwas Schönes. Da kann man für ein Stündchen mal abtauchen. Sondern dass man zeigt: Fantasie hat zwei Seiten. Wichtig war uns außerdem, dass Bastian nicht nur mit einem dicken Buch auf dem Dachboden sitzt, sondern dass er diese Fantasiewelt wirklich erlebt. Für uns bedeutet das: Man liest etwas und taucht fast körperlich in diese fantastischen Situationen mit ein. Mein Leitgedanke war – sowohl bei der Bühnenfassung als auch bei der Umsetzung – „Imagination statt Illustration“. Wir haben daran gearbeitet, dass wir kein buntes Abziehbildchen des Films abliefern, sondern dass wir kleine Versatzstücke zeigen, die erst durch die Fantasie der Zuschauer*innen komplett und bunt werden. Das heißt, wir geben dem Publikum genügend an die Hand, damit es das Gesehene selbst füllen kann. Genauso wie Michael Ende sich vorgestellt hat, wie Fantasie funktioniert.