Interview mit Bestseller-Autor Sebastian Fitzek

Fitzek ist einer der bekanntesten deutschen Schriftsteller. Seine Werke sind bislang in 20 Sprachen übersetzt. „Passagier 23“ ist eines der jüngsten Werke von Sebastian Fitzek, Ende Oktober 2014 erschienen und seitdem auf den Bestsellerlisten, begeistert und verstört es die stetig wachsende Fangemeinde des Autors.
Kurz vor der Uraufführung von “Passagier 23” am Westfälischen Landestheater sprach der Bestseller-Autor Sebastian Fitzek mit dem Theater über seine Erwartungen an die Inszenierung, über seine Arbeit als Thrilerautor und über andere Theaterstücke.

  • Mit welchen Erwartungen gehen Sie in die Uraufführung von „Passagier 23“?
    Mit gespannter Erwartungshaltung. Es ist aufregend für mich, in die Köpfe meiner Leserinnen und Leser schauen zu können, natürlich nicht in alle. Aber hier beispielsweise in den Kopf des Ausstatters. Wie setzt er das, was ich probiert habe, zu Papier zu bringen, in die Realität um. Und dabei bin ich nicht jemand, der erwartet, dass es eine sklavische Übernahme sein muss, das ist beim Theater ohnehin nicht möglich. Die Fiktion wird wieder ein Stück weit Realität auf der Bühne und das ist ein sehr, sehr spannender Moment für einen Schriftsteller. Auch zu sehen, wie die Schauspieler ihre Rolle interpretieren.

“Die Fiktion wird ein Stück weit Realität auf der Bühne. Das ist ein sehr, sehr spannender Moment für einen Schriftsteller.”

  • Wo sehen Sie die größten Herausforderungen bei der Adaption des Romans für die Bühne?
    Der Roman an sich ist natürlich viel umfangreicher, als dass man ihn theoretisch auf zwei Stunden zusammen dampfen kann. Aber das wird funktionieren. Die Handlung muss ja nicht nur zu verdichtet werden, sondern es muss ihr auch eine neue Note gegeben werden.
  • Auf welche Stelle freuen Sie sich am meisten?
    (Lacht) Ganz ehrlich: Auf die erste Sekunde, in der man Bühnenbild und Schauspieler zum ersten Mal sieht. Und auf die erste Reaktion des Publikums.
  • Am 29.09.2016 war die Premiere „Die Therapie“ umgesetzt vom BERLINER KRIMINAL THEATER. Heute sehen Sie „Passagier 23“ am Westfälischen Landestheater. Wie ist es denn generell für Sie, Ihre Geschichten auf der Bühne zu sehen?
    Das ist tatsächlich so, dass man sich fragt „Moment mal, ist das jetzt echt oder träumst du das nur?“ – Diese leicht schizophrene Situation, zu wissen, das kennst du, stimmt, das hast du selbst geschrieben und dann wird es auf einmal Realität auf einer Bühne. Das ist etwas sehr Schönes, aber es ist auch ein paradoxes Déjà-vu. Und es ist bei „Passagier 23“ noch präsenter, denn mein Debütroman „Die Therapie“ ist 2006 erschienen und wurde 2002 geschrieben, während „Passagier 23“ erst zwei Jahre her ist.
    - Also eine ganz unerwartete Form der Spannung auch für Sie.
    Ich gehöre ja auch zu den Krimilesern. Und das können vermutlich viele bestätigen, wenn man nach zehn Jahren wieder an sein Bücherregal tritt und eines herausnimmt, dann weiß man zwar noch worum es geht, aber an jede Wendung erinnert man sich nicht.

“Auf die Idee zu “Passagier 23” bin ich durch einen Artikel gekommen: ‘Lost – warum verschwinden so viele Menschen spurlos auf Kreuzfahrtschiffen’.”

  • Woher nehmen Sie Ihre Inspiration für Ihre Romane?
    Aus der Realität, aus dem Alltag – das ist kein Spruch, dass ich häufig die Realität nehme, um sie abzumildern. Die ist oftmals grausamer, unvorstellbarer, skurriler, unglaubwürdiger, das würde der Leser nicht glauben. Bei „Passagier 23“ war das so, dass ich 2005 eine Transatlantik-Tour gemacht habe. Mir war auf der Reise noch nicht klar, dass dies mal das Setting eines meiner Werke sein würde. Auf die Idee bin ich 2008 gekommen. Beim Lesen der Zeitschrift „Park Avenue“. Da habe ich einen Artikel gelesen, der hieß „Lost – warum verschwinden so viele Menschen spurlos auf Kreuzfahrtschiffen“, nämlich bis zu 23 Personen pro Jahr. Da wurde mir klar, da ist eine Geschichte. Aber ich habe wieder einige Jahre warten müssen, weil ich nicht schon wieder über eine vermisste Person schreiben wollte. Dann kam mir irgendwann die Idee, dass ich den Spieß umdrehe und nicht über eine Person schreibe, die verschwindet, sondern über eine Figur, die wieder auftaucht, nachdem sie für tot erklärt wurde.

“Als Autor hat man die Möglichkeit, das Schreckliche zu verändern. Und man hat die Möglichkeit, eine Ursache für das Böse zu finden.”

  • In vielen Ihrer Werke stehen Kinder im Mittelpunkt. Können Sie das bitte etwas erläutern?
    Im Grunde muss man es sogar noch weiter fassen: in all meinen Werken stehen Familien im Mittelpunkt. Es sind Familiengeschichten, die mich interessieren und kurioserweise ist fast jede große Geschichte eine Familiengeschichte, weil das vermutlich der kleinste, gemeinsame Nenner ist, auf den wir uns alle einigen können und der uns alle irgendwo interessiert. Denn wir alle haben eine Familie, wir suchen eine Familie, habe eine verloren oder wollen sie irgendwie wiederfinden. Die Konflikte innerhalb einer Familie – das ist das, was unser Leben bestimmt. Im Übrigen gerade in einem Psychothriller.
    Es ist tatsächlich kein Klischee, sondern die bittere Wahrheit: Nicht jeder, der in seiner Kindheit missbraucht wurde, muss ein Täter werden. Aber fast jeder, der ein Täter von Sexual-Delikten ist, hatte selbst eine Missbrauchserfahrung. Mit anderen Worten: Wenn man über psychische Störungen schreibt, wenn man sich mit Seelenlandschaften und mit der Ursache von psychischen Erkrankungen, dann kann man die Kindheit und die Familie nicht ausblenden. Es ist sehr, sehr, sehr unwahrscheinlich, dass jemand im Alter von 63 Jahren beschließt, ein Serienvergewaltiger zu werden, wenn er eine phantastische Kindheit hatte.
    Als Familienvater schreibe ich auch über meine eigenen Ängste. Das, was mich bewegt. Der Mord an einer Millionärswitwe im Grunewald kann spannend sein – ich will da gar kein Werturteil fällen. Aber es ist für mich als Familienvater nicht so relevant. Ich kann nur über Dinge schreiben, die mich bewegen und mich berühren. Ich habe früher gesagt, ich verarbeite sie dadurch. Das ist falsch. Man kann sie nicht verarbeiten. Aber man beschäftigt sich mit diesem Grauen, mit diesem Drama. Und man hat als Autor die Möglichkeit, das Schreckliche zu verändern. Man hat die Möglichkeit, eine Ursache für das Böse zu finden.
    Mich interessiert als Leser wie als Autor nicht vordergründig die explizite Gewaltdarstellung, sondern die Auswirkung der Gewalt auf das Opfer. Die Opfer interessieren mich mehr als die Täter, vielleicht auch im Gegensatz zum klassischen Krimi. Mir geht es darum, welche Auswirkung die Tat auf jemanden wie du und ich hat. Deswegen schreibe ich nicht den klassischen Krimi, den ich allerdings sehr gerne lese und auch sehr gerne als Serie schaue.

“In „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ von Berthold Brecht am Schillertheater in Berlin hatte ich eine Komparsenrolle.”

  • Welchen Krimi – außer Ihre eigenen Werke- würden Sie gerne mal auf der Bühne sehen und warum?
    Beispielsweise von Stephan King „Das Spiel“. Das Setting ist, dass sich ein Ehepaar, das seine Ehe wieder auffrischen will, in eine einsame Hütte im Wald zurückzieht, um sich dort zu vergnügen. Der Mann hat Handschellen mitgebracht, der Frau wird das aber irgendwie zu lächerlich und sie gibt ihm einen kleinen Tritt, aber einen liebevollen. Der Mann stürzt so unglücklich vom Bett, dass er sich das Genick bricht. Jetzt liegt sie mit einer Hand angekettet im Bett. Sie hatten niemandem gesagt, wo sie zu finden sind. Dieser Roman ist 600 Seiten lang und er handelt nur von dieser Frau auf dem Bett. Ich glaube, das wäre für eine Schauspielerin eine grandiose Herausforderung.
  • Haben Sie ein Lieblingstheaterstück?
    „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ von Berthold Brecht. Das liegt aber auch daran, dass ich, als es in Schillertheater in Berlin aufgeführt wurde, eine Komparsenrolle hatte. Das bleibt. Es war eine sehr beeindruckende Theatererfahrung.

Fotos von seinem Besuch der Uraufführung mit Signierstunde gibt es hier.

Informationen zur WLT-Inszenierung von “Passagier 23” gibt es hier