Kurz vor dem Ziel – Fragen an die Autor_innen der Schreibwerkstatt
In Zukunft III
von Dana Savić
Am ersten 7./8. Mai 2016 findet das letzte Workshop-Wochenende In Zukunft III statt, danach werden die Stücke nur noch fein geschliffen und liegen als fertige dramatische Werke der Jury zur Lesung und Begutachtung vor. So kurz vor der Zielgeraden möchten wir wissen: Was hat das Projekt den Teilnehmenden gebracht?
Kurz vor dem Ziel – Kenneth Philipp George
In welcher Weise hat der Workshop Dein Schreiben beeinflusst? Was hat sich am meisten verändert: Dein Thema, Deine Dramaturgie, Deine Figuren oder Deine Sprache? Und wie hat es sich verändert – kannst Du das ein wenig beschreiben?
Eher als mein Schreiben hat der Workshop meine Haltung als Schriftsteller beeinflusst und verändert. Bevor der Workshop angefangen hat, habe ich mich als Theaterschauspieler und Regisseur betrachtet, der ab und zu mal Stücke schreibt. Im Workshop wurde ich aber immer als Autor von den anderen wahrgenommen, womit ich mich ernsthaft auseinander setzen musste, um dann tatsächlich festzustellen dass ich auch Autor bin. Damit kam eine gewisse Disziplin in meine Beziehung zum Schreiben. Thema, Dramaturgie, Figuren und Sprache haben keine großen Veränderungen erfahren.
Wie würdest Du jetzt, nach fast acht Monaten, Dein Stück kurz zusammenfassen? Um was geht es darin?
Das Stück trägt den Titel “Motten” Zwei legendäre Heimatlose – Der fliegende Holländer und Ono no Komatchi (eine japanische Dichterin des 9.Jh.) – treffen sich an einem geschützten Ort, wo eine perfekte Hochzeit unmittelbar stattfinden wird. Was dann geschieht könnte man als eine Meditation über die Vergänglichkeit betrachten. Die ewige monogame Liebe wird hier als Beispiel benutzt, um sich mit Verlangen, Sehnsucht, Angst, Grenzen, Heimat und Ankommen auseinanderzusetzen. Die vollkommene Akzeptanz der Vergänglichkeit wird als ein möglicher Weg aus den politischen, ethischen, persönlichen und spirituellen Krisen dargestellt, in denen wir uns gerade befinden. Gleichzeitig stellt das Stück die Rolle des Theaters in diesen Krisen in Frage. Es stellt die Hypothese auf, dass das Theater eine lebendige, aktive Praxis für Darsteller und Zuschauer sein kann, um sich im Hier und Jetzt zu ankern.
Was hast Du durch die Werkstattgespräche mit den anderen Teilnehemer_innen erfahren, was Du vielleicht alleine am Schreibtisch nicht herausgefunden hättest? Was hat Dich am meisten inspiriert?
Das kritische, analytische Nachdenken über das Material, sei es mein eigenes oder von anderen, die Entwicklung der verschiedene Stücke durch diese regelmäßigen Auseinandersetzungen, das waren die zwei Phänomene, die ich begeistert beobachten konnte, und die mich auch inspiriert haben.
Welche Wirkung erhoffst Du Dir von Deinem Stück? Was möchtest Du den Lesenden mitteilen, was einem Theaterpublikum auf den Weg geben?
Das weiß ich wirklich nicht, ich mache mir keine Gedanken darüber…
Während des Workshop-Prozesses hat sich die gesellschaftliche Situation in Deutschland und Europa stark verändert. Etwa eine Million Flüchtlinge hat in Deutschland Zuflucht gefunden. Doch nun sind die Grenzen überall in Europa dicht gemacht, neue rechte Bewegungen schüren die Angst vor dem „Fremden“ und Anderen. Asylunterkünfte brennen, Terroranschläge der IS in Paris und Brüssel verbreiten eine Atmosphäre der Hysterie und Unsicherheit. Was denkst Du als Autor_in mit persönlicher Migrations-geschichte über diese Entwicklung? Welche Antworten kann das Theater darauf geben? Wie kann es eine demokratische Gesellschaft und seine Vielfalt stärken?
Ich glaube nicht an Regierung. Ich glaube nicht an Demokratie. Ich glaube nicht an Kommunismus, Totalitarismus, Feudalismus oder Monarchie. Ich glaube nicht, dass ein Dialog zwischen Unterdrücker und Unterdrücktem möglich ist. Ich glaube nur an die individuelle Verantwortung, an eine individuelle Ethik, die einen jeden Gedanken, jedes Wort und jede Tat im Hier und Jetzt durchwirkt. Das erfordert ein Theater, das, in erster Linie eine ethische und moralischer Wahl ist, völlig unabhängig von allen politischen und wirtschaftlichen Höhen und Tiefen. Das Theater kann keinen radikalen Wandel auf sozial-politischer Ebene bewirken. Bestenfalls kann das Theater eine Erfahrung sein (die immer persönlich und subjektiv ist), und eine Energie der Heilung freisetzt, vielleicht Fragen provoziert und die Leute aus ihrer Komfort-Zone herausholt. Vielleicht verankert es uns im Hier und Jetzt, vielleicht wachen wir auf, bewusst und präsent. Vielleicht.
Was wünschst Du Dir in Zukunft von In Zukunft?
Mehr als Wettbewerb und Jury-Entscheidungen, hätte ich mir vielleicht ein Art Festival gewünscht, wo alle Stücke tatsächlich produziert werden und vor einem Publikum präsentiert werden – wenn vollständige Produktionen nicht finanziell möglich sind, denn mindestens szenische Lesungen. Durch diesen Prozess entstünde auch die Möglichkeit für die Autoren und Autorinnen, die keine praktische Erfahrung mit dem Theater haben, in enger Zusammenarbeit mit Regisseuren und Schauspielern, an ihren Stücken weiter zu arbeiten, bis zur „Erstaufführung“.
Kurz vor dem Ziel – Havva Gülcan Ayvalik
In welcher Weise hat der Workshop Dein Schreiben beeinflusst? Was hat sich am meisten verändert: Dein Thema, Deine Dramaturgie, Deine Figuren oder Deine Sprache? Und wie hat es sich verändert – kannst Du das ein wenig beschreiben?
Es wechseln sich Phasen ab, in denen ich eine lange Zeit viel schreibe oedr gar nicht schreiben kann. Durch den Workshop war ich gefordert, mich kontinuierlich und intensiver mit einem Stück zu befassen. Manchmal blieben bis zum nächsten Workshop-Wochenende weniger als drei Wochen. Es war nicht möglich, sich inhaltlich nicht damit zu beschäftigen. Ein langer und nötiger Arbeitsprozess, der dazu genutzt wurde, sich tiefer mit den Figuren auseinanderzusetzen. Thema und Figuren sind zwar geblieben, trotzdem entwickelten die Figuren, im Laufe des Entstehungsprozesses ein Eigenleben. Bekamen mehr an Profil und Schärfe. Dadurch wurde auch die Sprache konkreter. Eine elementare neue Figur im Stück, der Bestatter, kam nach dem zweiten Workshop Wochenende dazu. Nur mit der Hauptfigur, mit der Tochter, hatte ich von Anfang an meine Schwierigkeiten. Sie musste sich im Laufe des Stückes emanzipieren und aus ihrer Rolle ausbrechen. Mit ihr steht und fällt die ganze Geschichte. Sie ist im Grunde genommen die alles bestimmende Hauptfigur. Am Anfang war es mir selber nicht so klar. Wo will ich hin? Was möchte ich mit dem Stück erreichen? Ist es ein Familiendrama mit tragischem Ausgang oder eine analytische Fabel, in der die Entwicklung der Figuren im Vordergrund steht? Später sind sehr komische Szenen entstanden, die eher an eine Komödie erinnern. Am Ende steht ein Stück mit einem todernsten Thema zum Lachen.
Wie würdest Du jetzt, nach fast acht Monaten, Dein Stück kurz zusammenfassen? Um was geht es darin?
In meinem Stück „Am Ende des heutigen Tages“ geht es um die Frage „Wo soll die tote Mutter begraben werden?“ In der Heimat oder in der Fremde? Was bedeutet „Heimat und Fremde“ für die Angehörigen. Wo gehört ein Mensch überhaupt hin? Wer entscheidet darüber? Sind seine Wurzeln da, wo er auf die Welt kam? Wie findet eine muslimische Bestattung statt? Die Protagonisten versuchen auf diese Fragen Antworten zu finden.
Vor diesem Hintergrund ist eine junge Frau, die sich von ihrem Elternhaus, einem heuchlerischen Vater und den Zwängen einer für sie nicht mehr zeitgemäßen Auffassung und Darstellung von „Kultur und Heimat“ befreien möchte.
Der Verlust der geliebten Mutter bringt bei den nahen Angehörigen unerwartete Emotionen hervor. Sowohl der Vater als auch die Tochter suchen einen Ausweg. Während der Vater sich in die Vergangenheit flüchtet, in Erinnerungen an die alten „Freundinnen“ aus seiner Jugend schwelgt und sich mehr und mehr in seiner einsamen Trauer verliert, will die Tochter sich von allem Alten und Überholten lösen, sie kämpft um ihre „Freiheit“. Neben diesen persönlichen Krisen soll die Bestattung der Mutter organisiert werden.
Was hast Du durch die Werkstattgespräche mit den anderen Teilnehmer_innen erfahren, was Du vielleicht alleine am Schreibtisch nicht herausgefunden hättest? Was hat Dich am meisten inspiriert?
Das Feedback der Teilnehmer war anfangs in der Entstehungsphase sehr aufschlussreich und wichtig für die weitere Entwicklung meines Stückes. Ich habe dadurch erfahren, welche inhaltlichen Schwachstellen mein Text hat, was überflüssig ist und wo ich weiter in die Tiefe gehen kann. Es war auch sehr lehrreich, die Entwicklung der anderen Stücke zu verfolgen. Später fielen die Ideen der Teilnehmer sehr vielfältig aus, dadurch wurde es wichtiger bei meinem Stück, meine eigenen Ziele zu verfolgen und bei meinem Text zu bleiben.
Ich wollte von Anfang an, keine typische Migrantengeschichte schreiben, die schon hundertfach erzählt wurde. Keine Klischees bedienen. Keine Stereotypen schaffen. Vielmehr die Bilder – die sich im eigenen Kopf befinden und die man in fremden Köpfen vorfindet – verbannen. Schnell wurde klar, dass man deswegen nicht einfach aufhören kann über Migranten und ihre kulturellen Welten zu schreiben. Nein, man muss neue Geschichten nur anders erzählen. Und Theater ist ein Ort, wo dies möglich ist. Dieser Gedanke hat mich inspiriert und zugleich ermutigt.
Welche Wirkung erhoffst Du Dir von Deinem Stück? Was möchtest Du den Lesenden mitteilen, was einem Theaterpublikum auf den Weg geben?
Das Stück bricht mit dem Tabuthema Tod und wirft philosophische Fragen auf.
Viele Leichname von Migranten werden in ihre Heimatländer überführt. Der Tod ist endgültig und trotzdem nimmt man es in Kauf, nicht am Grab trauern zu können. Was bringt die Angehörigen dazu, sich ein „zweites Mal“ von der geliebten Person zu trennen? Meist sind es Entwurzelung und Verbundenheit, zwei starke, entgegengesetzte Emotionen, die zu diesem Entschluss führen. Das Stück zeigt, welchen Stellenwert die alte Heimat und die kulturellen und religiösen Bestattungsriten bei den Migranten noch haben können.
Während des Workshop-Prozesses hat sich die gesellschaftliche Situation in Deutschland und Europa stark verändert. Etwa eine Million Flüchtlinge hat in Deutschland Zuflucht gefunden. Doch nun sind die Grenzen überall in Europa dicht gemacht, neue rechte Bewegungen schüren die Angst vor dem „Fremden“ und Anderen. Asylunterkünfte brennen, Terroranschläge der IS in Paris und Brüssel verbreiten eine Atmosphäre der Hysterie und Unsicherheit. Was denkst Du als Autor_in mit persönlicher Migrationsgeschichte über diese Entwicklung? Welche Antworten kann das Theater darauf geben? Wie kann es eine demokratische Gesellschaft und seine Vielfalt stärken?
Gewalt und Terror, egal von wem sie ausgeht und welchem Zweck sie dient, ist eine Bedrohung für alle. Es sind die Werte einer pluralistischen Gesellschaft für die man einsteht und die es zu verteidigen gilt. Die allgemeine Unsicherheit wird dazu benutzt um neue Debatten gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen zu entfachen. Das Flüchtlingsthema sollte nicht instrumentalisiert und die Flüchtlinge nicht „verdinglicht“ werden. Für die Zukunft hoffe ich, dass nicht die gleichen Fehler begangen werden, die man bei der Integration der Arbeitsmigranten gemacht hat. Ich habe mein Vertrauen an die Gesellschaft nicht verloren. Würde mir aber einen sensibleren Umgang mit diesen Themen wünschen.
Gleichzeitig findet das Flüchtlingsthema Ausdruck in vielen verschiedenen Kunstsparten.
Es ist toll, dass Autoren aktuelle Themen so schnell aufgreifen, sie verarbeiten, neu interpretieren und es auf eine höhere Ebene tragen. Doch manchmal frage ich mich, ob ein Flüchtling sich solche Stücke anschauen würde. Vor allem nachdem sein Asylantrag abgelehnt wurde, er seine Familie nicht nachholen kann oder nach seinem 18 Lebensjahr abgeschoben wird. Vielleicht sind Flüchtlinge nicht die Zielgruppe dieser Stücke? Mehr selbstbestimmte Teilhabe und kulturelle Zusammenarbeit – dadurch könnten echte Chancen zur Wandlung wahrgenommen werden.
Was wünschst Du Dir in Zukunft von In Zukunft?
Auf jeden fall eine Fortführung von In Zukunft und Etablierung in die Theaterlandschaft dieser Region. Eine Erweiterung um eine Schreibwerkstatt an einem Wochenende, um sich intensiver dem Verfassen von Stücken zu widmen.Viel mehr Künstler und Autoren aus den Reihen der Flüchtlinge, die ihre eigenen Geschichten erzählen. Eine stärkere Vernetzung von neuen unbekannten Autoren mit und ohne MH.
Kurz vor dem Ziel- Katalin Naszály
In welcher Weise hat der Workshop Dein Schreiben beeinflusst? Was hat sich am meisten verändert: Dein Thema, Deine Dramaturgie, Deine Figuren oder Deine Sprache? Und wie hat es sich verändert – kannst Du das ein wenig beschreiben?
Die Workshops, in bestimmten zeitlichen Abständen nacheinander, gaben mir einen gewissen Rahmen, was Verbindlichkeit, Absprachen und Deadlines angeht, wodurch ich einfach regelmäßiger als sonst geschrieben und gearbeitet habe am gesamten Text, und ich offensiv immer wieder das Neue hinterfragen musste. Und das alles mehr als sonst, wenn man alleine ist im Schreibprozess. Weil nur mit sich selber kann mann ja nicht allzu lange diskutieren. Meistens behält mann eh immer nur recht. Es waren wohl hauptsächlich die anderen Autoren, ihre Stücke und die Gespräche über „das Andere“, die mich beeinflusst haben, mein Stück zu präzisieren, es konkret werden zu lassen. Überhaupt, ich musste in meinem Text viel sortieren, umsortieren, Entscheidungen setzen. Die Sprache hat sich nicht geändert. Aber mein Umgang damit, vereinfachter, manchmal sparsamer. Es ist und bleibt meine Hassliebe im Ganzen, meine Zwangsjacke, die mich nicht ausbüchsen lässt. Die Figuren und ihre einzelnen Geschichten,… viele waren schon da, einige nicht: Wie sie zu einander und in Betracht zum Ganzen sind oder auch nicht, beschäftigt mich bis heute. Mal sehen was noch kommt im Endspurt. Änderungen jeglicher Art, vermute ich…
Wie würdest Du jetzt, nach fast acht Monaten, Dein Stück kurz zusammenfassen? Um was geht es darin?
Derzeitiger Arbeitstitel ist „unter lauter fischen“ – das wird sich zur Abgabe im Mai vielleicht auch noch ändern… da es ein Zitat aus einer Passage im Text ist, die – so jetziger Stand – gar nicht so emblematisch ist für das Stück… da gibt es noch vielleicht was passenderes von woanders. Im Stück geht es um Brücken. Pfeiler. Verkehr und Kommunikation.
Im konkreten, wie im übertragenen Sinne. Bei Einzelpersonen oder innerhalb einer Gesellschaft. Wie wir uns verhalten in verschiedenen Situationen oder Positionen, wenn wir z.B. als Architekt eine Brücke bauen und /oder sie selber einstürzen lassen. Es ist wohl auch politisch, da es die Verantwortung des einzelnen Menschen und der Gesellschaft versucht zu thematisieren. Wann wir selber unsere eigenen oder gar unser aller Paradigmen über den Haufen werfen, wegen unserer eigenen Korrumpierbarkeit. Und was ist der Preis, den wir alle hierfür zahlen.
Was hast Du durch die Werkstattgespräche mit den anderen Teilnehmer_innen erfahren, was Du vielleicht alleine am Schreibtisch nicht herausgefunden hättest? Was hat Dich am meisten inspiriert?
Egal wie groß der Unterschied beim Thema oder in der Sprache auch ist, es gibt viele Entwicklungsphasen die bei uns allen auftreten, wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten mit anderer Gewichtung. Daher ist manchmal das häufig typische Autorenempfinden, man sei „alleine mit seinem Stück“ innerhalb einer Gruppe, sehr relativ und vielleicht auch völlig hinfällig. Die anderen werden es oder das aktuelle Problem für einen natürlich nicht lösen können (was konkret auch immer), aber man kann sich gegenseitig dabei beobachten wie jeder seine eigenen spezifischen Probleme löst und das hilft. Und macht einen geduldiger.
Welche Wirkung erhoffst Du Dir von Deinem Stück? Was möchtest Du den Lesenden mitteilen, was einem Theaterpublikum auf den Weg geben?
Über die Wirkungsgeschichte und die Akteure und Empfänger eines Stückes und seiner eventuellen Aufführung, muss sich leider ein anderer Gedanken machen. Sowas ist nicht meins. Ich bin kein Journalist oder Theaterkritiker. Auch kein künstlerischer Leiter, Dramaturg oder ähnliches. Ich bin auch noch im Schreibprozess, und die Auseinandersetzung mit so einer wirkungsbedachten Orientierung bringt mich weg vom jetzigen Wesentlichen.
Das ganze Stück ist eh schon sprachlich „formalistisch“ genug :-).
Ich wünsche mir, dass es aufgeführt wird. Weil ich das für den Sinn von Theaterstücken halte. Ohne das, sind Theatertexte vom etwas Wesentlichen beraubt, was sie aber grundlegend ausmacht und sie auch wesentlich von Erzählung oder Poesie unterscheidet. Ich bin für neue Dramatik. Ob von jemand anderes oder gar mir inszeniert, ist nicht meine Entscheidung und darauf kann ich auch nicht Einfluss nehmen.
Ich würde mich freuen, wenn es eine Bühnensprache findet, die es immer schon sprach und gleichzeitig eine, die es so noch nicht gibt. Ein gemeinsames neues Bühnenvokabular mit eigenen Buchstaben und Sinn.
Während des Workshop-Prozesses hat sich die gesellschaftliche Situation in Deutschland und Europa stark verändert. Etwa eine Million Flüchtlinge hat in Deutschland Zuflucht gefunden. Doch nun sind die Grenzen überall in Europa dicht gemacht, neue rechte Bewegungen schüren die Angst vor dem „Fremden“ und Anderen. Asylunterkünfte brennen, Terroranschläge der IS in Paris und Brüssel verbreiten eine Atmosphäre der Hysterie und Unsicherheit. Was denkst Du als Autor_in mit persönlicher Migrationsgeschichte über diese Entwicklung? Welche Antworten kann das Theater darauf geben? Wie kann es eine demokratische Gesellschaft und seine Vielfalt stärken?
Was soll ich sagen? Ich glaube, wir brauchen eine neue Brücke. Züge gab es genug. Zäune oder Mauern aus Draht – vielleicht könnte auch die ungarische Armee und die anderer Länder was besseres zu tun haben derzeit, als diese.
Eigentlich ist es ja so, dass ich in meinem Stück die Budapester Kettenbrücke, also eine, die dieser verdächtig ähnlich ist, einstürzen lasse. Das wird für jeden was anderes bedeuten. Mir persönlich, als Budapesterin, wäre das eine Katastrophe. Das ist aber keine allgemeine, für jeden gültige Antwort. Ich habe, glaube ich, versucht ein hypnotisch-schmerzhaftes Bild als Ursache, Auslöser und Ergebnis von menschlichen Tun zu zeichnen, das, was viele von uns derzeit häufig in wiederkehrenden alptraumhaften Tagträumen erleben lässt, was wir dann immer wieder neu als Realität wahrnehmen müssen. Es ist alles real. Und passiert jetzt. Mit uns. Die persönliche Auseinandersetzung damit. Diese Frage der Verantwortung beschäftigt alle. Die habe ich versucht zu stellen. In verschiedenen Formen. Ich hoffe, das ist eine Antwort, die das Theater nicht umsetzt.
Fragen müssen auf die Bühne. Für Antworten und Lösungen ist Theater zu klein, eigenwillig, subjektiv, zu aktuell im Jetzt, zu selbstgerecht, manchmal auch zu arrogant und anbiedernd. Die Sicherheit von Suche nach Antworten ist ein Trugschluss künstlerischer und allgemein menschlicher Sinnsuche. Das Theater-Ergebnis ergibt sich durch den Betrachter. Die Frage auf der Bühne jetzt ehrlich stellen und zulassen und weitergeben an den Nächsten.
Die Antwort passiert später auf einer anderen medialen Ebene beim Zuschauer.
Was wünschst Du Dir in Zukunft von In Zukunft?
Grundsächlich eine Zukunft. Und nach Möglichkeit 2-3 Workshops mehr. Einige von den Workshops vielleicht noch mehr eingebettet in ein konkretes Theaterprogramm inkl. Probenbesuchen o.ä. Gerne auch allgemeine Workshops, wo es um dramentheoretisch oder schreibtheoretisch relevante Themen geht – „quasi Kreatives Schreiben Seminar Thema x“ – vielleicht sogar anhand von konkreten Textbeispielen von der aktuellen Autorengruppe.
Wenn möglich auch 1-2 Autoren-Mentoren/Coaches mehr, die sich z.B. abwechseln von Workshop zu Workshop oder sich den Workshop des jeweiligen Tages z.B. 50/50 aufteilen, um der Diversität Willen. Einfach um noch unterschiedlichere Herangehensweisen und Kritiken im Schreibprozess zu integrieren und eine noch komplexere und facettenreichere Projektionsfläche bekommen zu können.
Kurz vor dem Ziel – Yasmina Ouakidi
In welcher Weise hat der Workshop Dein Schreiben beeinflusst? Was hat sich am meisten verändert: Dein Thema, Deine Dramaturgie, Deine Figuren oder Deine Sprache? Und wie hat es sich verändert – kannst Du das ein wenig beschreiben?
Es ist als wäre ich gestartet mit einem sehr kompliziert verpackten Paket, das ich während der Workshops und in den Zeiten dazwischen versucht habe auszupacken. Manchmal aber habe ich – mehr oder weniger unbewusst – das Paket noch mal verpackt. Es gab Wochenenden, da muss ich mit einem Monstrum von Verpackung angereist sein, ohne es zu merken. Ich habe neue Schleifen präsentiert und alle anderen haben gesagt: „Ja. Schöne (oder auch nicht so schöne) neue Schleifen, aber wann zeigst du uns endlich mal was drin ist im Paket.“ Ich musste sozusagen „auspacken“. So hat mich der Workshop in meinem Schreiben am meisten im Hinblick auf Präzision und Konkretisierung beeinflusst. Das hat im Grunde fast alles verändert:
Die Dramaturgie, die Sprache und die Figuren. Letztere haben mehr Profil bekommen, und das jetzige Thema meines Stückes war zwar in meinem eingereichten Exposé angedeutet, aber noch nicht „entpackt“.
Wie würdest Du jetzt, nach fast acht Monaten, Dein Stück kurz zusammenfassen? Um was geht es darin?
Sehr wahrscheinlich ist der Titel des Stückes „Spiegelblicke“. Im Kern erzählt es die Geschichte einer Familie, die so wie sie ist – nämlich binational – in einer kleingeistigen Umgebung nicht sein darf und die sich vielleicht deshalb auflöst. Es geht um äußere Feindseligkeit, die das Innere einer Familie, einer Ehe, einer Mutter, eines Vaters, einer Tochter zerstört und es geht um die mehr oder weniger bewussten Strategien der Beteiligten mit diesen inneren Verwundungen umzugehen: Schweigen. Lügen. Verschwinden. Aber es geht auch um die Hoffnung – insbesondere der migrierten Vaterfigur – Blicke zu finden, in denen er sich nicht sieht wie die Leute ihn sehen wollen, sondern in denen er sehen kann, dass er gesehen wird.
Was hast Du durch die Werkstattgespräche mit den anderen Teilnehemer_innen erfahren, was Du vielleicht alleine am Schreibtisch nicht herausgefunden hättest? Was hat Dich am meisten inspiriert?
Inspirierend waren die anderen Teilnehmer_innnen für mich vor allem in ihrer Unterschiedlichkeit der Haltungen und Herangehensweisen in ihrem Schreibvorhaben. Erfahren habe ich Unterstützung. Menschen, die mir – mit Fragen, Kritik, ermutigenden Worten – geholfen haben dran zu bleiben und weiter zu schreiben. Ohne diesen Austausch, also ganz allein am Schreibtisch, hätte ich das Stück vermutlich nicht zu Ende gebracht. Es gab von den anderen Teilnehmer_innen viele Gedankenimpulse, die mich immer wieder aufgefordert haben, mich mit meiner eigenen Verantwortlichkeit (nicht nur beim Schreiben) auseinanderzu setzen. Weil ich es nicht besser sagen kann, möchte ich hier einen Satz zitieren, den der Teilnehmer Adnan Softić geschrieben hat und den ich mir vermutlich einrahmen und übers Bett hängen werde: „Es gibt einen entscheidenden Unterschied im Verhältnis zwischen Schuld und Verantwortung. Verantwortlich ist man immer. Allein durch das In-der-Welt-Sein, allein durch diese primäre Passivität, weil wir (ohne unseren Willen) in diese Welt geworfen wurden.“
Utupoiaeuropa Ich glaube dieser Satz drückt aus, was mir in den vielen Gesprächen mit allen Beteiligten noch mal viel bewusster geworden ist. Allein dafür hat sich das Mitmachen gelohnt.
Welche Wirkung erhoffst Du Dir von Deinem Stück? Was möchtest Du den Lesenden mitteilen, was einem Theaterpublikum auf den Weg geben?
Schwere Frage. Ich glaube, ich möchte mich selbst und andere animieren den Blick zu befreien von Schablonen und appellieren immer wieder neu hinzusehen und nicht wegzuschauen.
Während des Workshop-Prozesses hat sich die gesellschaftliche Situation in Deutschland und Europa stark verändert. Etwa eine Million Flüchtlinge hat in Deutschland Zuflucht gefunden. Doch nun sind die Grenzen überall in Europa dicht gemacht, neue rechte Bewegungen schüren die Angst vor dem „Fremden“ und Anderen. Asylunterkünfte brennen, Terroranschläge der IS in Paris und Brüssel verbreiten eine Atmosphäre der Hysterie und Unsicherheit. Was denkst Du als Autor_in mit persönlicher Migrationsgeschichte über diese Entwicklung? Welche Antworten kann das Theater darauf geben? Wie kann es eine demokratische Gesellschaft und seine Vielfalt stärken?
Ich glaube das Theater kann beim Sehen hinsehen, nicht wegschauen „behilflich“ sein. Ich weiß nicht, ob das Theater Antworten geben kann oder soll, aber ich glaube, es muss Geschichten verhandeln, die das Hinsehen zwingend einfordern. Vor allem aber kann das Theater eine demokratische Gesellschaft und seine Vielfalt stärken, indem es selbst in seinen Strukturen (und Spielplänen) demokratisch und vielfältig ist.
Was wünschst Du Dir in Zukunft von In Zukunft?
Ich wünsche mir, dass auch andere Menschen mit Zuwanderungsgeschichte (in der Familie) die Chance bekommen, die ich in dieser Werkstatt hatte. Darüber hinaus würde ich mich über ein Fortbestehen der entstandenen Kontakte und einen weiterhin inspirierenden Austausch sehr freuen. Danke an alle Beteiligten.
Kurz vor dem Ziel – Sonja Schierbaum
In welcher Weise hat der Workshop Dein Schreiben beeinflusst? Was hat sich am meisten verändert: Dein Thema, Deine Dramaturgie, Deine Figuren oder Deine Sprache? Und wie hat es sich verändert – kannst Du das ein wenig beschreiben?
Ich würde sagen, ich bin durch den Workshop dazu gezwungen worden, mich viel stärker mit meinen Figuren auseinanderzusetzen. Aus mehr oder weniger „subjektlosen Sprechern“ (vor dem Workshop) wurden mit der Zeit mehr und mehr Figuren mit Intentionen, Gründen, einem – mehr oder weniger – komplizierten Innenleben usw. Diese Entwicklung hat mich selbst sehr überrascht. Ich würde sagen, mit dieser Entwicklung hat sich auch die Dramaturgie des ganzen Stückes geändert. Wo es vorher nur Textflächen oder vielleicht essayartige Texte gab, entstanden nun „richtige“ Dialoge. Das Thema hat sich dadurch nicht grundsätzlich verschoben, sondern sich nur den eben beschriebenen Entwicklungen angepasst.
Wie würdest Du jetzt, nach fast acht Monaten, Dein Stück kurz zusammenfassen? Um was geht es darin?
Der Titel meines Stückes lautet „Das Gespenst der Archivarin“
Es geht darum, dass das aus der Aufklärung stammende und im Grundgesetz verankerte Ideal der Freiheit des Individuums nicht allein durch die sich häufenden Terroranschläge, sondern viel stärker durch einen Bewusstseinswandel in der Bevölkerung bedroht ist. Dieser Wandel wird durch staatliche Maßnahmen auch noch befördert („keine Freiheit ohne Sicherheit“). In dem Stück prallen die Figuren der alten und der neuen Archivarin, die jeweils die „alte“ und die „neue“ Auffassung von Freiheit vertreten, aufeinander. Letztlich setzt sich aber die „neue“ durch – die alte Archivarin verschwindet selbst als Gespenst der „alten“ Freiheit im Archiv. Das „Archiv“ steht hier für das kollektive Bewusstsein & das kollektive Gedächtnis.
Am meisten inspiriert haben mich, wenn ich ehrlich sein soll, die Einzelgespräche am Abend, nach „Feierabend“.
Welche Wirkung erhoffst Du Dir von Deinem Stück? Was möchtest Du den Lesenden mitteilen, was einem Theaterpublikum auf den Weg geben?
Mein Anliegen ist es, über Einzelfälle hinaus die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf strukturelle Probleme innerhalb der Gesellschaft zu lenken und diese auf der Bühne darstellbar zu machen.
Während des Workshop-Prozesses hat sich die gesellschaftliche Situation in Deutschland und Europa stark verändert. Etwa eine Million Flüchtlinge hat in Deutschland Zuflucht gefunden. Doch nun sind die Grenzen überall in Europa dicht gemacht, neue rechte Bewegungen schüren die Angst vor dem „Fremden“ und Anderen. Asylunterkünfte brennen, Terroranschläge der IS in Paris und Brüssel verbreiten eine Atmosphäre der Hysterie und Unsicherheit. Was denkst Du als Autor_in mit persönlicher Migrationsgeschichte über diese Entwicklung? Welche Antworten kann das Theater darauf geben? Wie kann es eine demokratische Gesellschaft und seine Vielfalt stärken?
Ich glaube nicht, dass – zumindest in meinem Fall – mein „Migrationshintergrund“ mich zu irgendeiner speziellen Haltung in dieser Frage geneigt macht. Ich denke aber, dass das Theater, auch mittels seiner Texte, vielleicht ein Ort für eine (neue) Diskussionskultur sein könnte, die weder implizit noch explizit durch – linke oder rechte – Ideologien verbrämt ist. Was mir fehlt in der öffentlichen Diskussion, auch unter den Kulturschaffenden, ist eine Auseinandersetzung, die nicht von vornherein schon Partei ergreift und davon abweichende Standpunkte gar nicht erst zu Wort kommen lässt.
Was wünschst Du Dir in Zukunft von In Zukunft?
Weniger Wettbewerb. Mehr Werkstatt.
Kurz vor dem Ziel – Adnan Softić
In welcher Weise hat der Workshop Dein Schreiben beeinflusst? Was hat sich am meisten verändert: Dein Thema, Deine Dramaturgie, Deine Figuren oder Deine Sprache? Und wie hat es sich verändert – kannst Du das ein wenig beschreiben?
Das Besondere bei diesem Workshop ist die Runde, in der wir uns gegenseitig die Texte vorlesen. Das Schöne dabei sind sehr ehrliche und offene Rückmeldungen, die dann auch Einfluss auf die Texte ausüben. Es ist auch sehr angenehm zu schreiben, wenn man weiß, dass andere Teilnehmende sorgfältig lesen oder zuhören werden.
Mein Thema hat sich im Laufe der Zeit tatsächlich gänzlich verändert. Das lag aber eher an meinen zeitlichen Kapazitäten und dass ich einfach Schwierigkeiten hatte zwei Stücke gleichzeitig zu schreiben. Ich entschied mich mein ursprüngliches „In Zukunft“ Vorhaben vorläufig auf Eis zu legen, damit ich es später intensiver angehen kann.
Wie würdest Du jetzt, nach fast acht Monaten, Dein Stück kurz zusammenfassen? Um was geht es darin?
In meinem Stück, mit dem Arbeitstitel „Eine bessere Geschichte“, geht es um Fabrikation von Geschichte. Ein Thema, das mich seit einigen Jahren immer erneut beschäftigt hat. Das Stück spielt sich in Skopje ab. Zur Zeit wird das Zentrum der mazedonischen Hauptstadt komplett umgebaut und mit einer Antik anmutenden Architektur „grunderneuert“, um damit den mazedonischen Anspruch auf die europäische Antike erheben zu können. Ich sah in der Baustelle eine gute Chance die Entstehung einer neuen Na(ra)tion zu beobachten. Dort wird buchstäblich alles bestehende überschrieben. Nun, was versprechen sich die Befürworter und was befürchten die Gegner dieses Großprojektes? Welche Auswirkungen hat es für die Bevölkerung? Und vor allem interessiert mich die Beobachtung, wie mit kulturellem Gedächtnis Gewalt evoziert wird? Das Phänomen ist nichts neues, aber es gibt wenige Orte auf der Welt, an denen man verfolgen kann, wie sich der Prozess der Imaginierung in real time abspielt, wie er vor Deinen Augen in “Marmor und Bronze” konstruiert wird.
Welche Wirkung erhoffst Du Dir von Deinem Stück? Was möchtest Du den Lesenden mitteilen, was einem Theaterpublikum auf den Weg geben?
Es geht mir vor allem darum, eine Art von produktiver Unsicherheit bei den Lesenden zu erzeugen. Hoffentlich gelingt es mir, hier oder da, zu zeigen, dass sich aus der Peripherie Europa manchmal besser beobachten lässt, als in ihrem Kern.
Während des Workshop-Prozesses hat sich die gesellschaftliche Situation in Deutschland und Europa stark verändert. Etwa eine Million Flüchtlinge hat in Deutschland Zuflucht gefunden. Doch nun sind die Grenzen überall in Europa dicht gemacht, neue rechte Bewegungen schüren die Angst vor dem „Fremden“ und Anderen. Asylunterkünfte brennen, Terroranschläge der IS in Paris und Brüssel verbreiten eine Atmosphäre der Hysterie und Unsicherheit. Was denkst Du als Autor_in mit persönlicher Migrationsgeschichte über diese Entwicklung? Welche Antworten kann das Theater darauf geben? Wie kann es eine demokratische Gesellschaft und seine Vielfalt stärken?
Es gibt, nach wie vor, viele Wege, wie man sich auf Politik beziehen kann. Heutige Veränderungen sind eine gute Gelegenheit, um die üblichen Formen des Erzählens genauer zu hinterfragen. Wer spricht und für wen sprechen wir? Diese Fragen sind heute, wegen der von Dir genannten Zuständen, offensichtlicher und mainstream-tauglicher geworden. Aber, ob wir Antworten geben können… Das ist so ’ne Sache. Was nützt die Antwort, wenn die Menschen mit Einfluss, keine Antworten suchen? Selbst, wenn man etwas sagen könnte: Was nutzt das Sprechen, wenn es den Hörenden nicht gibt? Davon können Flüchtlinge ein Lied singen. Als Autor kann man sicherlich versuchen irgendwelche „Tricks“ bzw. Kunstgriffe zu verwenden, um an anderen Stimmen vorbei-zusprechen und anzukommen. Vielleicht stellt sich auch eine Einflussnahme auf die Politik her, für einen Moment.
Aber letztendlich sind unsere Rahmen und unsere konkrete politische Wirkungsmacht recht bescheiden und begrenzt. Die Rolle von Künsten als Erzeugerinnen des kollektiven Bewusstseins ist heute, so gut wie nicht mehr denkbar. Das Establishment und ein Großteil der Bevölkerung, beide scheinen mir nur an ihrer eigenen Geschichte interessiert zu sein und brauchen keine Autoren, die ihre Welt anders beleuchten wollen. Weil ich das so sehe, interessiert es mich weniger mit Mitteln der Kunst das Realpolitische zu betreiben. Ich finde, es lohnt sich der Kraft des Imaginären zu vertrauen und zu probieren andere Zustände herzustellen, die in der heutigen Realpolitik nicht denkbar sind. Dafür macht es Sinn einen guten Abstand von der aktuellen Politik zu nehmen und nicht ständig das Gefühl zu haben, sich auf jedes aktuelle Ereignis beziehen zu müssen. Aus diesem „Inkubationsraum“ heraus, können dann, meiner Meinung nach, eher gute Antworten auf das vulgäre tagespolitische Geschehen entstehen.
Was wünschst Du Dir in Zukunft von In Zukunft?
Ich wünsche mir, dass In Zukunft viel Erfolg in Zukunft hat. Das ist ein wichtiges Projekt. Migrantische Perspektive muss für sich sprechen können. Ich freue mich deswegen auch in Zukunft von neuen interessanten Menschen zu erfahren.
Kurz vor dem Ziel – Sivan Ben Yishai
In welcher Weise hat der Workshop Dein Schreiben beeinflusst? Was hat sich am meisten verändert: Dein Thema, Deine Dramaturgie, Deine Figuren oder Deine Sprache? Und wie hat es sich verändert – kannst Du das ein wenig beschreiben?
Ich erstelle in der Regel Bühnenstücke in einer begrenzten Zeit, nämlich der Theater-Produktionszeit. Der Prozess des Schreibens geht einher mit der Bühnensprache, der Bildsprache und der Arbeit, die ich mit den Schauspielern entwickle. Bei IN ZUKUNFT III ging der Schreibprozess jedoch von einem blanken, reinen Blatt aus. Der Workshop gab mir Zeit, Raum und Freiheit, das Textmaterial auszuprobieren, ohne zu wissen, wohin es mich führt. Während der Zeit stellte sich ein intensiver, innerer Prozess der Erforschung und Entdeckung meines Textes ein. Dank Maxi und der Geduld und Großzügigkeit der Gruppe wurde das Schreiben zu einem ausgiebigen, erfüllten und kreativen Arbeitsprozess.
Wie würdest Du jetzt, nach fast acht Monaten, Dein Stück kurz zusammenfassen? Um was geht es darin?
„Your very own double crisis club“ ist ein Klagelied an eine zerstörte, vergewaltigte, korrupte Stadt. Es klagen, schreien, singen diejenigen, die der Stadt entflohen sind, die jedoch nicht einmal sicher sind, ob ihre Flucht erfolgreich war, oder ob sie nicht in Wirklichkeit Gefangene des toten städtischen Körpers sind. Es ist ein Klagelied derjenigen, die sich vorgenommen hatten, niemals mehr zurückzublicken und sich nun ein letztes Mal umdrehen, um die SOS-Rauchzeichen über der brennenden Stadt zu sehen, mit salzgetränkten Mündern. „Your very own double crisis club“ erstellt eine subjektive Collage einer in den letzten Zuckungen liegenden Stadt und untersucht drei Perspektiven: Das “WIR”, das “IHR” und das “ICH”. Die „ICH“ – Perspektive ist ein persönliches intimes Porträt, das vor dem Publikum, dem ultimativen “IHR” verhandelt wird. Das “ICH” wird wahrscheinlich nie ein Teil der beiden anderen sein können.
Ich verzichte bewusst auf ein Konzept, das eine homogene Geschichte ermöglicht und wechsele zwischen Rezipienten, Wahrheiten, Perspektiven, Vergangenheiten, Identitäten und Orten. Dadurch stelle ich beide Seiten meine Krise vor (double crisis): die Seite des Mittleren Ostens und die europäische Seite, meine beiden Vergangenheiten und Gegenwärtigkeiten.
Welche Wirkung erhoffst Du Dir von Deinem Stück? Was möchtest Du den Lesenden mitteilen, was einem Theaterpublikum auf den Weg geben?
In diesem Stück hinterfrage ich die Perspektive der Vergangenheit und der Gegenwart, das Ich und das Du, das Wirkliche und das Unwirkliche, Ich stelle DEINE Geschichte vor MEINE Geschichte. Obwohl der Text in Dutzende kleine Bilder zerteilt ist, sollte er ein kohärentes Gefühl hervorrufen, das jeder verstehen kann – auch wenn es nicht seine Geschichte ist. Der Text beschwört eine Vielzahl von Erinnerungen, Bildern, Gerüchen und Visionen und verwendet rhetorische Stilmittel, wie die des Angriffs, der Predigt, des Ausflippens, des Zusammen-bruchs. Ich glaube, dass das Stück dem Publikum eine Vielzahl emotionaler Zustände bietet: Verwirrung, Neugier, Empathie, Wut, Gleichgültigkeit, Langeweile. Solange beide Seiten, auf und vor der Bühne, reflektiert bleiben, sind alle Reaktionen willkommen und Teil des Bühnenstücks.
Während des Workshop-Prozesses hat sich die gesellschaftliche Situation in Deutschland und Europa stark verändert. Etwa eine Million Flüchtlinge hat in Deutschland Zuflucht gefunden. Doch nun sind die Grenzen überall in Europa dicht gemacht, neue rechte Bewegungen schüren die Angst vor dem „Fremden“ und Anderen. Asylunterkünfte brennen, Terroranschläge der IS in Paris und Brüssel verbreiten eine Atmosphäre der Hysterie und Unsicherheit. Was denkst Du als Autor_in mit persönlicher Migrationsgeschichte über diese Entwicklung? Welche Antworten kann das Theater darauf geben? Wie kann es eine demokratische Gesellschaft und seine Vielfalt stärken?
Als ich nach Berlin kam, erkannte ich sofort die in Angst sorgfältig verpackte Verwundung, die ich posttraumatische Symptome einer posttraumatischen Stadt nennen würde. Es hat mir geholfen, Israel, den Ort, den ich verlassen habe, wieder neu zu betrachten. Aus der Distanz erschien Israel wie eine stolze Teenagerin, die die Konsequenzen ihres Handelns noch nicht erfahren hat. Eine tragische Heldin im Lenz ihrer Selbstüberschätzung, die immer noch denkt, dass sie in ihrer jetzigen Form ewig leben wird. Im Herbst wird das Trauma kommen. Die Katastrophe. Die Geschichte kann es besser sagen als ich. Posttraumatische Städte sind die einzigen guten Städte. Städte ohne Stolz, ohne Flaggen. Städte, die einfach da sind und ihren Bürgern Strom und Wasser liefern. Aber sieh, wie schön. Der tragische Held aus unserer letzten Geschichte, der in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts zu seinem Höhepunkt kam, wacht wieder auf. Sie können sicher sein: sein Stolz wird die Wut seiner Götter wieder wecken, seine Arroganz wird seine Katastrophe. Wieder einmal. Das menschliche Rad wird sich weiter drehen. Wieder geht die Sonne auf und unter, Sommer werden Frühling wie Winter, Leben wird sich mit dem Tod ändern, Wut wird sich in Mitgefühl und Demokratie verwandeln, die Natur wird die Stadtlandschaft übernehmen und umgekehrt. Wieder einmal. Was kann ich sagen zu diesem Europa, zu dem gleichen Europa, aus dem meine Großmutter vor 70 Jahren flüchten musste? Was kann ich zu Israel sagen, zu diesem einen Israel, in welchem die gleiche Großmutter sitzt, und sich angstvoll weigert, erschreckende Nachrichten zu hören? Auf diese Weise ist dieser Mensch, der zwei Generationen vor mir gelebt hat, Gefangener seiner beiden Leben. Gefangene beider Länder in Zeiten des Feuers. Mehr oder minder überraschend – so geht es mir auch. Wie ein schreckliches Büro mit einem Schild in der Küche: “Hier brennen wir! Eines Tages, ja, eines Tages, nein”. Heute brennen wir.
Was wünschst Du Dir in Zukunft von In Zukunft?
Ich hoffe, dass das Projekt weiterhin ein freies sein wird, in dem genug Raum für neue Stimmen bleibt. Stimmen, die ihre sehr persönlichen und politischen Fragen als Mensch und Künstler erforschen. Das Schreiben dieses Stückes war ein wichtiger Prozess für mich, und ich danke IN ZUKUNFT und Maxi Obexer für die Unterstützung und für den Prozess, den ich durchlaufen konnte. Ich wünsche mir, dass die Vision IN ZUKUNFT weiter besteht und uns hilft, ein Bollwerk aus widerständigen Künstlern aufzubauen, die sich zusammenfinden, um gemeinsam etwas zu entwerfen, was den Gegebenheiten der Zeiten trotzen könnte.