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Tina Jerman
Blitzlichter

Fragen an Tina Jerman

Welche Aufgabe hat EXILE e.V. im Projekt IN ZUKUNFT?
EXILE-Kulturkoordination begleitet In ZUKUNFT im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und durch interkulturelle Expertise. EXILE hat in rund 30 Jahre im Feld der interkulturellen Kulturarbeit viele Modellprojekte durchgeführt. Das „Migration Audio Archiv“, das Kunstprojekt „Sehnsucht nach Ebene 2“ in Hagen im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 oder “interkultur.pro” sind aktuelle Beispiele. Die ersten zwei hat die UNESCO aufgrund der richtungweisenden Rolle für Interkulturalität die Schirmherrschaft übernommen.

Welche Chance bietet der AutorInnenwettbewerb?
Bestenfalls bekommen wir durch den Wettbewerb neue Fenster, Blickweisen und Erklärungsmuster in die Welt geöffnet, die die Vielfalt der Realitäten der hier lebenden Menschen widerspiegeln. Und damit das Theater zu einem gemeinsamen Erlebnisort für ein breites Publikum macht. In Deutschland hat mittlerweile fast ein Viertel der Bevölkerung einen sogenannten Migrationshintergrund. Das bedeutet, dass in den Biografien dieser Menschen auch andere kulturelle Einflüsse zum Tragen kommen. Das sind zum einen positive Potentiale, wie die Schätze anderer Kultureller Traditionen und Geschichte(n), Mehrsprachigkeit und Multiperspektivität, aber auch negative, wie Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen. Theater im besten Sinne behandelt mit den Mitteln der Kunst die großen menschlichen Fragen, wie Würde, Liebe, Tragödie und Tod. Aber die dramatischen Erzählweisen und Verortungen sowie Assoziationen und Illustrierungen dieser Themen variieren.

…braucht es so ein Projekt wirklich?
Erstaunlicherweise gibt es – im Gegensatz zu vielen anderen künstlerischen Sparten – gerade im Bereich der BühnenautorInnen noch wenig Präsenz. Ja, die Literatur weist bereits einige hervorragende AutorInnen auf, erwähnt seien nur stellvertretend die Nobelpreisträgerin Herta Müller oder der mehrfach ausgezeichnete Ilja Trojanow. Der gesamte Prozess der Migration in Deutschland ist immer literarisch begleitet und verarbeitet worden. Die sogenannte „Gastarbeiterliteratur“ hat aber nur selten ihre Nische verlassen können. Auch hat die gezielte Förderung, z.B. durch den Chamisso-Preis der Robert-Bosch-Stiftung, dieser Literatur kontinuierlich zu einer größeren Aufmerksamkeit verholfen, und die Wege in große Verlage geebnet. Wir wünschen uns mit IN ZUKUNFT einen vergleichbaren Effekt für das Theater.

Ein Viertel der Deutschen haben einen Migrationshintergrund. Gibt es Unterschiede im Alltag?
Im Wesentlichen unterscheidet sich ihr Alltag nur wenig von dem ihrer biodeutschen Mitbürger. Es gibt aber auch Faktoren, die ich bereits oben erwähnt habe. Einen erheblichen und milieubildenden Einfluss haben, hier wie da, nicht kulturelle Einflüsse, sondern Bildung und Einkommen. Es gibt eine Untersuchung des Sinus-Institutes in Heidelberg, die im Auftrag der NRW-Landesregierung unter anderem die kulturellen Interessen und Gewohnheiten von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund untersucht haben (www.interkulturpro.de). Die Studie kommt zu drei wesentlichen Erkenntnissen: kulturelle Interessen orientieren sich nicht nach ethnischen Kriterien, sondern nach sozial bestimmten Milieus. Das traditionell-religiös geprägte Milieu macht nur 7 % aus. Und Menschen sowohl deutscher als auch nicht-deutscher Herkunft betrachten kulturelle Bildung als eine Schlüsselqualifikation für ihre Kinder.

…und was sagt die Sinus-Studie über das Bild in den Medien?
…dass die Illustrierung zum Thema Migration in Fernseh- oder Zeitungsbeiträgen oft mit Bildern ausgestattet werden, die nur einen verschwindenden Prozentsatz der migrantischen Milieus wiederspiegeln. Man wird zum Beispiel konfrontiert mit Kopftüchern, die aber für 93 % der Migranten keine ausschlaggebende Bedeutung haben. Allerdings bewegt sich viel. Journalistenverbände beschäftigen sich mit diesen Themen und auch der WDR arbeitet seit 2004 gezielt mit Integrationskonzepten, die ein Bewusstsein für das Thema in den Medien schaffen. Von einem selbstverständlichen Umgang mit dem Thema wie etwa in Großbritannien sind wir allerdings noch weit entfernt.

Blick über die Landesgrenzen: Welchen Stellenwert hat IN ZUKUNFT Bundes- und europaweit?
Das Projekt, das vom NRW-Kulturministerium gefördert wird, ist nach unserer Erkenntnis europaweit der einzige Wettbewerb, der sich speziell an TheaterautorInnen wendet. Wie viele andere interkulturelle Kunst- und Kulturprojekte aus NRW zeigen, existiert hier – auch durch die Förderung und Anerkennung durch das Land – ein innovatives Klima für Ideen für die gemeinsame Gestaltung einer vielfältigen Kulturlandschaft, die auch andere Akteure in Deutschland und in europäischen Nachbarländern inspirieren.

Tina Jerman im Web

"Das Projekt IN ZUKUNFT, das vom NRW-Kulturministerium gefördert wird, ist unserer Einschätzung nach europaweit der einzige Wettbewerb, der sich speziell an TheaterautorInnen wendet."
Tina Jerman

"Von einem selbstverständlichen Umgang mit dem Thema wie etwa in Großbritannien sind wir noch weit entfernt."
Tina Jerman