Die letzte Inszenierung von WLT-Intendant Ralf Ebeling

10.10.2025 – Kleists Der zerbrochne Krug ist ein Klassiker der deutschen Literatur. Der Abiturstoff kommt jetzt (Premiere am 18.10.) auf die WLT-Bühne inszeniert vom WLT-Intendanten Ralf Ebeling. Für ihn ist es eine ganz besondere Produktion. Nachdem seine Karriere am WLT mit der Regie von „Prinz Friedrich von Homburg“ damals noch als Gast-Regisseur begann, endet seine Zeit als Intendant am WLT wieder mit einer Inszenierung eines Kleist Stoffs. Warum ihn das besonders freut und warum Ausstatterin Clara Eigeldinger Jogginganzüge für die perfekte Kostümwahl hält, erklären sie im Interview.

WLT: Ihr habt Kleists berühmte Gerichtsszene in ein Vereinsheim verlegt. Warum gerade dorthin?

Ralf Ebeling: Auch im Original findet die Gerichtsverhandlung in demselben Gebäude statt, in dem der Dorfrichter Adam auch wohnt. Das ist vergleichbar mit den früheren Dorfschulen, in denen der Lehrer auch in dem Gebäude wohnte. Auch hier gibt es dieses Gebäude mit Wohnung und Raum, in dem dann Gerichtsverhandlungen geführt werden, oder, das war unsere Idee, es ist eben auch ein Ort ist, in dem sich die Dorfgemeinschaft Samstag zum Feiern trifft oder in dem sich die Fußballmannschaft des 1. FC Husum Kreisliga C nach den Spielen trifft. Also es ist nicht nur ein Vereinsheim, sondern ein Mehrzweckraum.

Clara Eigendinger: „Ja, ein Mehrzweck quasi mit sportlicher Auslebung kann man sagen. Das spiegelt sich auch in den Kostümen im legeren Freizeitlook. Und es schlägt die Brücke ins Heute. Unser Raum ist ein Ort, besonders im dörflichen Kontext, wo man heute noch zusammenkommt und Dinge verhandelt.

Wir spielen im Bühnenbild mit Dingen wie Pokalen, Wimpeln und kleiden die Figuren in Vereinsjacken und Jogginghosen. Die Farben erinnern an die 70er, alte Strukturen schwingen mit. Gleichzeitig macht die Sportlichkeit das Ganze modern und bringt das Stück in die Gegenwart, nah am Alltag. Es ist kein festlicher Gerichtssaal, sondern ein Raum, in dem man direkt „vom Platz weg“ verhandelt.

Ralf Ebeling: Das zeigt: Diese Figuren wissen eigentlich gar nicht, was es heißt, vor Gericht zu stehen. Sie reden wie im Stammtisch-Streit.

WLT: Das Stück ist eine Komödie, die gleichzeitig Abgründe zeigt. Wie balanciert man Lachen und bittere Aktualität?

Ralf Ebeling: Kleist hat sehr komische Dialoge geschrieben, doch wenn man etwas an der Oberfläche kratzt, merkt man: Das sind verdammt böse Menschen, die dort aufeinandertreffen. Die Figuren sind derb, oft komisch, aber im Kern unglaublich egoistisch und brutal. Sie denken nur an sich, ohne Empathie oder Rücksicht für andere.

Besonders Eve, das Opfer eines sexuellen Übergriffs, kommt im Original kaum zu Wort. Wir haben ihr durch den sogenannten „Variant“ am Ende mehr Raum gegeben, damit ihre Geschichte hörbar wird. Wenn man den Variant, den Kleist selbst erst später geschrieben hat, weglässt, dann kommt Eve praktisch kaum vor. Dann geht es nur um Leute, die ihrem Dienst nachgehen, um ihre Ehre, um einen Krug und um Betrug. Aber um die eigentliche Sache, geht es den anderen überhaupt nicht. Und das ist etwas, das finde ich schockierend brutal.

Bei uns kippt das Stück nach zwei Dritteln: Aus der Komödie wird Ernst. Und das Publikum merkt plötzlich, dass das Lachen im Halse stecken bleibt.

WLT: Kleist hat eine starke, aber alte Sprache. Wie holen Sie das heutige Publikum und gerade auch SchülerInnen ab?

Clara Eigeldinger: Es braucht ein paar Minuten Eingewöhnung, aber dann trägt die Sprache und man ist voll im Stück drin.

Ralf Ebeling: Sprachlich haben wir nichts modernisiert, es ist Kleist. Wir haben nur gestrafft und den Variant mit Eves Geschichte ergänzt, um ihr mehr Raum zu geben. Die Schauspieler machen die Konflikte sehr deutlich, sodass man auch über das Spiel versteht, worum es geht. Für Schüler ist es oft sogar leichter nachvollziehbar, als man denkt.

WLT: Das Stück berührt auch Themen wie Machtmissbrauch und Fake News. Sehen Sie darin Bezüge zur Gegenwart?

Ralf Ebeling: Absolut. Die Figuren sind egoistisch, unversöhnlich, unfähig, die Perspektive des anderen einzunehmen, jeder glaubt sich im Besitz der Wahrheit, genau wie heute in vielen politischen und gesellschaftlichen Konflikten.

Clara Eigeldinger: Die alten Strukturen und das Machtgefälle, die auch heute noch überall gängig sind, werden sehr gut vor Augen geführt.

Ralf Ebeling: Und der Clou der Geschichte ist hier: Wäre an diesem Tag nicht der Gerichtsrat Walter aus Utrecht gekommen, hätte Dorfrichter Adam den Prozess manipuliert, wie er es gewohnt war. Nur die Kontrolle von außen bringt die Wahrheit ans Licht. Da spürt man sofort Aktualität.

WLT: Herr Ebeling, Sie haben schon verraten, es ist Ihre letzte Inszenierung als Intendant des WLT. Hat das Einfluss auf die Arbeit an dieser Produktion?

Ralf Ebeling:

Es ist ganz sicher die letzte Inszenierung meiner Intendanz hier am WLT. Ob ich danach nochmal irgendwo, irgendwas inszeniere, das weiß ich nicht und will es nicht ausschließen.

Ich denke in den Proben nicht: „Das ist hier zum letzten Mal die Regie.“ Aber es ist ein schöner Kreis: Vor über 20 Jahren habe ich als Gastregisseur am WLT mit einem Kleist-Stück angefangen, nämlich mit ‘Prinz von Homburg’, jetzt beende ich meine Intendanz wieder mit Kleist. Es schließt sich ein Kreis. Mir macht dieses Stück wahnsinnig viel Spaß. Ich liebe seine Sprache, den Humor, die Abgründe. Das ist ein wirklich schöner Abschluss, einer der mich fordert, aber auch zufrieden macht.

Der zerbrochne Krug
Heinrich von Kleist
Klassiker

Zum Stück
Ein Dorfrichter steht vor Gericht – ausgerechnet im eigenen Fall. Ein zerbrochener Krug, eine junge Frau, ein nächtlicher Besuch. Was wie eine Farce beginnt, wird nach und nach zu einer Geschichte über Machtmissbrauch, Lüge und die Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen. Kleists Lustspiel entlarvt eine dörfliche Gemeinschaft, in der jeder nur sich selbst retten will – koste es, was es wolle.

Premiere am 18.10.2025, 20:00 Uhr
Castrop-Rauxel Stadthalle

weiterer Termin: 16.11.2025, 18:00 Uhr,
WLT- Studio

Kartenanfragen unter: 02305–978020 oder tickets@westfaelisches-landestheater.de