„Ich liebe das Schreiben. Schreiben ist mein Hafen, mein Überleben.“
Am Donnerstag, 9. Mai 2019 um 20 Uhr feiert das Westfälische Landestheater die Uraufführung von Verräter nach Can Dündar. WLT-Dramaturg Christian Scholze hat das Buch des türkischen Journalisten für die Bühne adaptiert. Wir haben Can Dündar zum Interview getroffen und sprachen mit ihm über sein Leben im Exil, seine Wünsche und Hoffnungen.
WLT: Wie haben dir die ersten Tage bei den Proben mit Christian und dem Ensemble gefallen?
Can Dündar: Sehr bewegend, wirklich aufregend. Ich war nervös bevor ich hergekommen bin, weil ich das schon erwartet hatte. Ich war so neugierig auf die Schauspielerinnen und Schauspieler, das Team und darauf ein Teil dieses Projekts zu sein, was sehr wichtig für mich ist.
WLT: Du warst sofort Teil des Teams und hast intensiv mit dem Regisseur und dem Ensemble gearbeitet. Was wollten die Schauspieler alles von dir wissen?
Can Dündar: Nun ja, wenn man Shakespeare oder Molière spielt, hat man nichts als den Text. Du kannst den Autor nicht fragen, wie seine Gefühle beim Schreiben des Stückes waren. Für die Schauspielerinnen und Schauspieler jetzt ist es aber viel einfacher meine Gefühle, meine Situation, meine Wut und mein Innerstes zu erforschen. Der Autor und der Text sind hier, deshalb stellen sie mir so viele Fragen. Sie versuchen, die Figuren in dem Stück genau zu charakterisieren. Mein Verhalten, meine Beweggründe, meine Traurigkeit, meine Freude, was auch immer… Ich teile gerne all diese Gefühle mit ihnen, aber nicht nur ich. Sie haben auch mit meiner Frau via Skype gesprochen und haben ihr Fragen gestellt. Ich denke, es ist eine sehr gute Möglichkeit für uns alle, weil das Team mit den echten Darstellern der Geschichte zusammentrifft.
WLT: Das ist ein interessanter Punkt. Vielleicht ist es für die Schauspieler einfacher ihre Rolle auf der Bühne zu entwickeln, aber gleichzeitig spüren sie womöglich einen größeren Druck, weil sie deine Erwartungen erfüllen möchten.
Can Dündar: Ja absolut. Ich kann dieses Gefühl total verstehen. Deshalb habe ich versucht, ihnen zu Beginn der Proben zu sagen, dass ich nicht hier bin, um etwas zu überprüfen, sondern um Spaß zu haben. Ich weiß, dass ein Theaterstück etwas anderes ist als ein Buch oder das Leben selbst. So soll es auch sein. Ich respektiere das genauso wie ich die Textfassung, den Regisseur und die Schauspielerinnen und Schauspieler respektiere.
WLT: Das stimmt. Theater kann definitiv andere Dinge ausdrücke als ein Film oder ein Buch.
Can Dündar: Genau, der Regisseur hat natürlich das Recht Dinge anders zu sehen als der Autor.
WLT: Sprechen wir über das Stück. Was denkst du über das Bühnenbild? Du hast uns schon erzählt, dass du die Idee von dem Käfig, der gleichzeitig einen Vogelkäfig und ein Gefängnis darstellt, magst. Findest du deine Gefühle, die du im Exil empfindest, darin wieder?
Can Dündar: Ich liebe diese Idee. Der Käfig ist wie das Gefängnis in der Türkei, in dem ich war, aber zur gleichen Zeit zeigt er, dass ich mich auch in Berlin in einem goldenen Käfig gefangen fühle – in einem freien Land, in einer freien Stadt. Das ist sehr wichtig. Mehr als das aber, sehe ich heute die ganze Menschheit in einem Käfig gefangen. Durch die Gefahren, die Ängste, die Diktatoren und die populistischen Bewegungen. Das alles drängt uns in einen Käfig, ohne dass wir es merken. Viele Menschen versuchen sich, in diesem Käfig zu verstecken, andere haben Schwierigkeiten ihn zu verlassen. Wieder andere sind gezwungen, in einem Käfig zu leben, wie die vielen Flüchtlinge. Sie versuchen daraus auszubrechen. Es ist ein weltweites Problem. Deshalb liebe ich die Idee von der Bühne. Wenn du es so siehst, ist es nicht nur meine Geschichte, sondern eine weltweite.
WLT: Deine Geschichte ist auf eine Art schon besonders, aber du hast immer betont, dass du nur ein Beispiel für viele Journalisten bist. Du möchtest nicht als Opfer gesehen werden. Warum ist das so wichtig für dich?
Can Dündar: Ich habe niemals bereut, was ich getan habe. Bei der ersten Probe habe ich das ganze Team gefragt, was die Zuschauer ihrer Meinung nach von dem Stück erwarten und welches Gefühl wir am Ende erzeugen möchten. Es sollte weder Mitleid noch Traurigkeit sein, sondern Hoffnung, die Kraft des Widerstandes und die Bedeutung von Solidarität. Obwohl so viele schlechte Dinge in der Welt passieren – Journalisten leiden, Diktatoren kommen an die Macht, populistische Bewegungen nehmen zu – können wir etwas dagegen tun. Wir haben die Kraft uns zu widersetzen, wenn wir uns zusammentun.
WLT: Was würdest du dem Publikum gerne sagen?
Can Dündar: Wenn das Stück die Möglichkeit bekommt, in Schulen aufgeführt zu werden, würde ich den jungen Schülerinnen und Schülern sagen, dass eine einzelne Person die Welt verändern kann. Auch wenn sie allein in einer Gefängniszelle ist, so wie ich es war. Das ist das Gefühl, das ich ausdrücken möchte.
WLT: Als wir uns das erste Mal trafen und du uns ein Video über deine Zusammenarbeit mit der Royal Shakespeare Company gezeigt hat, waren wir davon zutiefst bewegt. Als du im Gefängnis in der Türkei warst, war alles grau und dunkel, aber du hast begonnen, mit dem Saft aus Orangen- und Apfelschalen zu malen und hast deine Welt wieder bunt gemacht.
Can Dündar: Danke. Genau das Gefühl möchte ich anderen mitgeben.
WLT: Das ist der Grund, warum wir Theater lieben. Mit Projekten wie „Verräter“ können wir Menschen wie dir eine Stimme verleihen und deine Geschichte vielen anderen erzählen.
Can Dündar: Ja. Es gibt so viele Probleme da draußen und es werden immer mehr. Wir befinden uns nicht in der besten Zeit der Geschichte der Menschheit. Vielleicht genau das Gegenteil. Deshalb müssen wir für den Widerstand vorbereitet sein. Ich versuche nur, meine Erfahrungen damit zu teilen, wie wir uns widersetzen können. Mit unserer Familie, mit unserem Beruf, mit uns selbst. Auch wenn du in einer Gefängniszelle mit niemanden reden kannst, kannst du etwas bewegen. Das ist die Botschaft, die ich vermitteln möchte.
Teil 2 des Gesprächs lesen Sie am Donnerstag, 25. April ebenfalls auf unserer Website.
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