1972 startete Radio Bremen als Nachfolger für den legendären „Beat-Club“ ein neues Musikformat unter dem Titel “Musikladen”. In diesem Laden wurde eine wilde Mischung unterschiedlicher Musikstile angeboten und mit Kabarett abgerundet. Unser Musikladen – eine musikalische Wundertüte ist eine Hommage an diese außergewöhnliche Sendung und direkter Nachfolger unserer Beat-Club-Show. Tankred Schleinschock, musikalischer Leiter am WLT, verriet im Interview, worauf sich die Zuschauer freuen können und welche Songs auf keinen Fall fehlen dürfen.
WLT: Premiere in Corona-Zeiten: Auf was müssen sich die Zuschauer einstellen?
Tankred: Ja, das ist natürlich keine leichte Geschichte so eine Inszenierung zu machen, wenn man eigentlich in einem der kontaktfreudigsten Bereiche – nämlich im Theater – den Kontakt quasi unterbinden soll. Aber einige meiner Kollegen sagten schon, dass dieses Stück wahrscheinlich mit Abstand das beste Stück sei, was man im Moment machen könnte. Das ist genau das Stichwort – wir achten auf den Abstand: Mund-Nase-Bedeckung ist im Theater nicht möglich, denn man sieht keine Gesichter, man kann auch gar nicht sprechen und singen. Aber wir haben Plexiglas-Trennwände, die die Leute voneinander trennen, sodass keine Kontakte entstehen. Wir halten auch Abstände, die größer sind als das angegebene Maß, also in der Regel 5-6 Meter. Wenn Stative benutzt werden, dann haben wir die Desinfektion der Stative in die Inszenierung mit eingebaut. Mikrofone bleiben bei jedem einzelnen Künstler und werden nicht weitergegeben. Wir versuchen auch keine Requisiten von mehreren benutzen zu lassen oder ähnliche Dinge. Man muss auf viele Dinge achten, die sonst überhaupt nicht üblich sind.
Und ich glaube trotz alledem, funktioniert das besser als ich es erwartet habe. Natürlich gibt es einige Momente, die etwas statischer sind, man kann beispielsweise in den Choreografien die Darsteller nicht zusammen hinstellen. Das wirkt alles ein bisschen weiter auseinander. Aber ich glaube, man kann letztlich dafür dankbar sein, dass man es überhaupt machen kann und unter dieser Voraussetzung ist das allemal eine sehr gute Lösung. Ich denke, alle Leute, die kommen, werden Verständnis dafür haben und wissen, dass es einfach wegen Corona so sein muss.
Natürlich gibt es eine Sache, die ich sehr bedauere, aber die lässt sich nicht anders lösen: Das Grundprinzip der bisherigen Shows war bisher immer, dass die Band auf der Bühne ist. Das geht aber nicht, wenn ich diese ganzen Abstandsregeln einhalten will. Die Band wird in Containern neben der Bühne sitzen, auch da mit großem Abstand voneinander. Das führt natürlich dazu, dass dieser ganz direkte Kontakt zwischen der Band und den Sängern, der sonst da ist, ein bisschen eingeschränkt ist. Am Sound ändert das nichts. Es ändert etwas an dem miteinander Musizieren. Man merkt das am deutlichsten dann, wenn ein Gitarren-Solo ist. Und normalerweise merkt man dann, dass die Band lebt und mit den Sängern atmet und interagiert, das ist jetzt ein bisschen schwieriger, wenn die Band einen anderen Platz hat. Die Entfernungen sind einfach sehr, sehr groß und es entsteht nicht so dieser ganz direkte Kontakt. Das ist ein bisschen schade, aber das lässt sich aber einfach nicht anders machen. Und es ist besser, es so zu machen als es nicht zu machen.
WLT: Worauf können sich denn die Zuschauer freuen?
Tankred: Die Zuschauer können sich auf eine Show freuen, die ganz in der Tradition unserer musikalischen Produktionen der letzten Jahre steht. „Der Musikladen“ ist ja in der Tat der direkte Nachfolger vom „Beat-Club“. Der „Beat-Club“ ist eins unserer erfolgreichsten musikalischen Stücke der letzten Jahre gewesen. Es kommt überall richtig gut an.
Die Show „Beat-Club“ begann ´65 und hörte ´72 auf. Radio Bremen suchte dann ein Nachfolge-Projekt, das war „der Musikladen“. Das heißt, es ist voll mit der Musik der 70er Jahre. Und das ist auch ein Jahrzehnt, das uns noch ein bisschen fehlte. Der Musikladen lief zwar auch bis in die 80er Jahre hinein, aber der Schwerpunkt, den ich setzen werde, wird auf die frühe Musikladen-Zeit sein, auf die 70er und es gibt dann nur ein paar Ausläufer in die 80er Jahre rein. Aber eigentlich ist es eine Show über die 70er Jahre.
WLT: Du hast es schon angesprochen, der Musikladen war eine Show. Für alle die den Musikladen nicht kennen, erzähl doch bitte etwas über die Show und darüber wie wir diese Show dann auf die Bühne bringen werden.
Tankred: Das Konzept LADEN ist schon auch so ein bisschen Programm: Ein Laden, in dem es eigentlich alles Mögliche gibt, wie im Supermarkt oder in einem großen Kaufhaus, die verschiedenen Abteilungen. So gab es im „Musikladen“ auch verschiedene Abteilungen, jede Art von Musik. Der Musikladen ist noch sehr viel stärker auf eine Breite von Stilistiken orientiert als der „Beat-Club“.
Der „Musikladen“ geht verschiedene Stile durch: Deutsche Musik, Soul-Musik aus Amerika. Es gibt überhaupt einen viel stärkeren Akzent, der nach Amerika geht, ohne die Musik aus England zu vernachlässigen.
Glam Rock ist eigentlich das Phänomen der 70er Jahre. Bands wie T-Rex, David Bowie natürlich, Roxy Music, Slade und alle möglichen, die etwas Androgynes hatten, was ja auch wieder in die heutige Zeit passt, wo gar nicht mehr klar ist, Mann oder Frau. Also etwas, was in den 60ern völlig undenkbar gewesen wäre. Die Bands waren auch fast alle Männer, ganz ganz wenige Frauen-Bands gab es. Das wird in den 70er Jahren anders: Es gibt mehr Frauen, die singen oder in den Bands spielen – eine Band wie Heart zum Beispiel mit Barracuda, da gibt es sowohl die Sängerin als auch die Gitarristin – also das ist in den 70er Jahren stärker.
Die Männer selber, wie eben David Bowie mit seiner Kunstfigur, Ziggy Stardust, legen halt Wert darauf, das typisch Männliche völlig zu vernachlässigen und eine Kunstfigur zu entwickeln, die zwischen den Geschlechtern steht.
Und Bands wie Roxy Music zum Beispiel fangen dann wieder etwas ganz Neues an: Bryan Ferry mit dieser Eleganz, die er hat, dieser dandyhaften Sache – ist auch eine völlig neue Note in der Rock-Musik. Bryan Ferry ist dann einer, der die ganze musikalische Tradition bis hin in die 20er Jahre aufarbeitet und in ein Rock-Konzept überführt. Mit Roxy Music hat er etwas völlig Neues geschaffen. Für jemanden wie mich, der die Band auch tatsächlich live erlebt hat, war Roxy Music eine Offenbarung – das war etwas ganz Neues. Wie überhaupt die Musik dieser Zeit.
Ein andere Phänomen der 70er Jahre ist der Punk. Der Punk, der im Musikladen komischerweise nicht über englische Bands kommt. Aber durch die Bands, die aus Amerika kamen, die auch irgendwie etwas anders spielten als der englischen Punk wie Ramones, zum Beispiel.
Der Musikladen hat nämlich eine tolle Sache: erstmal war es eine Show wie jede andere, wo dann Leute auftraten, manche sangen live, andere Playback, dazwischen gab es Moderation. Es gab auch Comedy mit Insterburg & Co. und die Cartoons von Heiner H. Hoier, die preisgekrönt waren. Es war eine sehr freche Sendung, gerade in dieser frühen Zeit.
Die Band Insterburg & Co. waren vier Blödelbarden, die völlig schräges Zeug machten. Und einer von ihnen wurde dann später als Einzelkünstler berühmt: das war Karl Dall. Karl Dall gehörte zu Insterburg & Co. genauso wie Ingo Insterburgs, Peter Ehlebracht und Jürgen Barz und die spielten halt alle ganz schräg Instrumente, freche Texte, schräge Szenen. Das war schon was Besonderes. Daraus werden wir auch Dinge spielen. Weil ich finde, dass sie es auch einfach einfach mal wieder wert sind, gespielt zu werden.