Charkiw, mit 1,5 Millionen Menschen die zweitgrößte Stadt der Ukraine, liegt im Nordosten des Landes nur knapp 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. In der Nähe dieser Stadt lebt Olesia Iavorska mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern, die drei und acht Jahre alt sind. Als der Krieg ausbricht, bleibt die Familie zunächst dort. „Am ersten Tag glaubte ich noch an ein Missverständnis. Ein Albtraum, aus dem wir morgen erwachen. Am zweiten Tag dachte ich schon, dass sie uns töten werden. Es war schlimm, in der Mitte der Ereignisse zu sein, ohne zu wissen, was passiert oder wer kommt. Man wird bombardiert und erfährt nichts“, berichtet Olesia Iavorska über den Kriegsbeginn.
Nach zehn Tagen ist die Lebensgefahr so groß, dass sie mit ihren Kindern quer durchs Land flieht. Ihren Mann muss sie zurücklassen. Die Kriegstage in Charkiw und die Tage der Flucht hat Olesia Iavorska in ihrem Tagebuch dokumentiert. Dazu hat sie offizielle Nachrichten, Chatverläufe mit Freund*innen und Berichte der Erlebnisse anderer Menschen zusammengetragen. Die Texte hat Olesia Iavorska dem Westfälischen Landestheater zur Verfügung gestellt. „Ich freue mich über die Möglichkeit, dieses Theaterstück zu realisieren. Bei Nachrichten, die man im Fernsehen verfolgt, ist immer ein Bildschirm dazwischen, der eine Distanz zu den Bildern erzeugt. Das Theater bietet immer eine unmittelbare Nähe“, so Olesia beim Probenstart, bei dem die Ukrainerin offen und berührend über ihre Erlebnisse sprach. „Charkiw ist eine russischsprachige Stadt, nun will aber keiner mehr dort Russisch sprechen. Ich denke, dass Putin erwartet hat, dass wir ihn willkommen heißen, aber das Gegenteil ist der Fall. Der Krieg hat die Ukrainer noch näher zusammengebracht. Am ersten Tag des Krieges war die Schlange zum Blutspenden länger als vor den Lebensmittelgeschäften.“