„Vielleicht sind die ZuschauerInnen nach ‚Fettes Schwein‘ bessere Menschen“

28.3.2025 – Im Jahr 2019 waren in Deutschland rund 54 Prozent der Deutschen übergewichtig. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung und trotzdem wird es nicht als normal und alltäglich gesehen. Mehrgewichtige Menschen und ihre PartnerInnen sind Vorurteilen und Anfeindungen ausgesetzt. In der neuesten Produktion des Westfälischen Landestheaters Fettes Schwein von Hollywood-Autor Neil LaBute geht es um die Reaktion der Gesellschaft auf das Dicksein und die Herausforderungen, die das für die junge Liebe bedeutet. Regisseur und Intendant Ralf Ebeling im Interview, warum die Produktion so sehenswert ist und was er sich vom Publikum erhofft.

1) Neil LaBute ist ein sehr erfolgreicher Hollywood-Drehbuchautor, Regisseur und eben auch Theaterautor. Was macht seine Werke so gut?

Seine Werke sind einfach hervorragend geschrieben. Ich liebe einfach Theatertexte, bei denen sich die Geschichte aus den Figuren und aus den Dialogen entwickelt. Und das kann er, und zwar auf eine psychologisch sehr geschulte und sehr realistische Art und Weise. Das sind Figuren, die einfach so sprechen, wie man in der Realität spricht. Da gibt es nicht irgendeine Botschaft, die irgendeine Figur aufsagt. Das Thema des Stücks entwickelt sich nicht dadurch, dass es vom Autor einer Figur in den Mund gelegt wird, sondern das entwickelt sich aus dem, was die Figuren miteinander verhandeln. Das finde ich wahnsinnig toll! Und das ist es auch, was bei den Proben wahnsinnig viel Spaß macht. Man muss nicht irgendwelche Motivationen finden, sondern eigentlich ist alles in der Szene drin.

Und es ist eben Figuren-Rede und nicht die Veröffentlichung von Meinungen. Stattdessen gibt es Figuren, die sprechen innerhalb ihrer Rolle, was sie zu sagen haben. Das muss überhaupt nicht das sein, was ich finde oder was der Autor findet, sondern das ist das, was die Figur findet. Und aus diesen Konflikten der Figuren ergeben sich die Fragen, die das Stück stellt.

2) Selbstoptimierungen, Schönheitswahn und Mobbing, das alles begegnet uns heute dank Social Media immer mehr. Hält uns „Fettes Schwein“ einen Spiegel vor?

Ja, ich glaube, ein Stück weit schon. Da gibt es durchaus Figuren, und das ist auch die Qualität des Stücks, denen man auf den Leim geht. Und man denkt, „Ja, ja, richtig so.“ Wenn man dann aber merkt, dass das, was sie da vertreten, noch weiter dreht, da kann man doch nicht mehr mitgehen. So kann man nicht mit jemandem umgehen, der anders ist. Man kann darüber streiten, ob es bei dem Stück ums Dicksein im Speziellen oder um das Anderssein im Allgemeinen geht. Aber für mich ist es ein Stück über das Anderssein und vor allen Dingen und in allererster Linie ein Stück darüber, wie gesellschaftlich auf dieses anders sein, hier am Beispiel von Mehrgewicht, reagiert wird.

3) Eigentlich ist es eine schöne Liebesgeschichte, wenn die Gesellschaft nicht wäre. Wie viel Gesellschaftskritik steckt in dem Stück?

Ich finde, eine ganze Menge. Auch in „Romeo und Julia“ ist Gesellschaftskritik drin. Und für mich ist „Fettes Schwein“ eine Romeo- und-Julia-Geschichte: Zwei Menschen, die sich lieben und die von ihrem Umfeld diese Liebe ausgetrieben bekommen, bei der das Umfeld die Verwirklichung dieser Liebe unmöglich macht. Das ist eine Erfahrung, die überhaupt nicht unrealistisch ist, sonst würde auch eine Geschichte wie „Romeo und Julia“ nicht schon seit 400 Jahren funktionieren.

Und die Kritik ist, dass die außenstehenden Menschen auf Liebe und Beziehungen anderer reagieren. Denn eigentlich sollten sie sich gar nicht einmischen, dann hätten wir vielleicht ein paar mehr glückliche Menschen auf der Welt.

4) Das Stück spielt in der Gegenwart und zeigt Szenarien und Figuren, die wir alle in gewisser Art und Weise kennen. Wie geht ihr mit diesem alltäglichen Szenario in Bezug auf die Ausstattung um?

Bei den Regieanweisungen im Stück ist es so, dass es eine sehr filmisch-realistische Geschichte ist.

Es gibt drei, vier verschiedene Orte, aber am Ende stellt man auch fest, es ist eigentlich komplett egal, wo es stattfindet. Also es ist mal ein Restaurant, mal ein Stehimbiss, es ist Zuhause oder im Büro, aber diese Orte in realistischer Ausformulierung als Bühne, das braucht es überhaupt nicht.

Deshalb sind wir mit den Orten relativ abstrakt umgegangen. Wir werden auch keine Kostümen-Orgien veranstalten und in jeder Szene die Kostüme wechseln. Mir ist es da viel wichtiger, dass man entspannt und elegant von einer Szene in die nächste hineinkommt ohne großen Umbau, ohne großen Umzug. Der sehr realistischen Sprache wird so eine abstraktere optische Form entgegensetzt.

5) Wir haben es schon so ein bisschen angeschnitten, Stichwort Kostüme: Helen wird bei uns von der schlanken Lesley-Ann gespielt. Wie geht ihr mit dieser Diskrepanz zwischen ihrem Äußeren und der Darstellung der Figur im Stück um?

Auch das wird bei uns abstrakt gelöst. Ausstatter Jeremias H. Vondrlik und ich haben uns lange darüber Gedanken gemacht, sollen wir jemand, der nicht mehrgewichtig ist, ausstopfen, irgendwie körperlich verändern? Das ist eine ganz ähnliche Frage, wie die, ob ich einen weißen Schauspieler schwarz schminken kann? Möchte ich das heutzutage noch machen oder möchte ich das lieber nicht machen? Wir haben uns dazu entschieden, das lieber nicht zu machen. Wir wollten für das „Mehrgewichtig Sein“ lieber eine abstrakte Lösung finden. Das wird das Publikum vielleicht ein bisschen fordern: Ich sehe eine Schauspielerin, die schlank ist und ich muss selber mitdenken, dass sie dick sein soll und das finde ich persönlich sehr spannend. Ich hoffe, dass das Publikum das auch so findet. Weil es natürlich dann auch gleich mitten in die Frage führt: Ab wie viel Gramm Mehrgewicht, würde ich denn sagen, ist jemand dick? Wenn ich mir vorstelle, ich würde jemanden ausstopfen wollen. Wie viele künstliche Kilos muss ich denn drauf packen oder wo ist denn da die Grenze? Was ist denn eigentlich dick? Ein soziales Konstrukt, nichts anderes! Ich oder die Gesellschaft haben eine diffuse Übereinkunft, ab wann jemand als mehrgewichtig gilt. Das ist aber nichts, was schon immer so war und immer auch so sein muss. Es ist etwas, das gesellschaftlich konstruiert ist.

Das heißt, das Publikum wird nach der Vorstellung den Saal verlassen und bessere Menschen sein, weil sie dafür ein Stück weit sensibilisiert wurden?

Natürlich wünscht man sich, dass es vielleicht bei irgendjemanden dazu führt, nicht diskriminierend zu reagieren beim nächsten Mal oder vielleicht etwas weniger diskriminierend, etwas toleranter, etwas mitfühlender zu sein und wenn das passiert, dann gibt es vielleicht einen etwas glücklicheren Menschen mehr auf der Welt, das wäre schön!

6) Warum sollte man sich die Produktion nicht entgehen lassen?

Man kann sich die Produktion auch einfach angucken, weil es ein saugut geschriebenes Stück ist und ich hoffe, am Ende auch ein gut gespieltes Stück ist und das macht einfach Spaß. Das ist einfach schön anzugucken! Und nicht belehrend und nicht mit dem erhobenen Zeigefinger oder irgendwie sowas. Die Aussage, die Botschaft entsteht zwischen den Figuren in den Köpfen der Zuschauer und wird eben nicht irgendwie übergestülpt.

Ich kann alle Figuren, auch wenn ich sie sogar ganz schrecklich finde, bis zu einem gewissen Grad absolut nachvollziehen. Es sind alle starke und realistische Figuren. Es geht um Grauwerte, um Zwischentöne und nicht um eine Schwarz-Weiß-Einteilung.

Zum Stück
Tom und Helen lernen sich in einem überfüllten Restaurant beim Mittagessen kennen. Eigentlich haben beide keine Zeit. Aber Tom ist fasziniert von ihr. Von ihrem Esprit, ihrer Schlagfertigkeit, dem Humor. Er merkt innerhalb kürzester Zeit, dass er einer ganz besonderen Frau gegenübersitzt. So einer Frau ist er noch nie begegnet. Das Schönste ist: die Sympathie beruht auf Gegenseitigkeit.

Und doch ist es schwierig. Denn Helen ist übergewichtig und entspricht nicht den allgemeinen Vorstellungen von einer attraktiven Frau. Sie selbst ist mit sich im Reinen. Aber Tom kann sich den Erwartungshaltungen seiner Umgebung nicht widersetzen. Je schöner sich ihre Beziehung entwickelt, umso mehr macht er ein Geheimnis daraus, vermeidet es, Helen seinen Freunden vorzustellen. Doch die sind gnadenlos. Als sie herausfinden, dass er mit einem “fetten Schwein” zusammen ist, steht ihre Liebe vor der Zerreißprobe.

“Fettes Schwein” ist eine ausgezeichnet geschriebene Liebesgeschichte über fragwürdige Schönheitsideale und gesellschaftlichen Anpassungsdruck, die in Zeiten von Instagram und TikTok noch einmal an Aktualität gewonnen hat.

Neil LaBute ist einer der international interessantesten zeitgenössischen Dramatiker. Weltberühmt wurde er Anfang der 200er-Jahre mit seinem Erfolgsstück “bash – stücke der letzten tage”, das auch in Deutschland sehr häufig gespielt wurde.

Fettes Schwein
Neil LaBute
Deutsch von Frank Heibert
Zeitgenössisches Stück

Premiere am
05.04.2025, 20:00 Uhr,
WLT-Studio Castrop-Rauxel

Weitere Termine: 10.05.2025, 20.00 Uhr Castrop-Rauxel Stadthalle
22.06.2025, 18:00 Uhr WLT-Studio Castrop-Rauxel

Kartenanfragen unter: 02305–978020 oder tickets@westfaelisches-landestheater.de.

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