Das Westfälische Landestheater bringt den Mordfall Walter Lübcke auf die Bühne. Am Mittwoch (30.08.’23) ist die Premiere des zeitgenössischen Stücks „Man muss für seine Werte eintreten. Der Mord an Walter Lübcke“ aus der Feder des WLT-Dramaturgen Christian Scholze, der auch selbst Regie führt. Wir haben mit Christian Scholze und Ausstatterin Anja Müller über die Inszenierung gesprochen.
Wie ist die Idee entstanden, ein Stück über den Mord zu schreiben?
Die Idee wurde mir eingepflanzt. Ich hatte letztes Jahr, im Frühjahr, einen Termin mit der Antisemitismusbeauftragten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, da ging es um meine Produktion von „Dunkle Mächte“. Wir haben dann darüber gesprochen, was ich am WLT mache und dann hat sie mir vorgeschlagen., ein Stück über den Mord an Walter Lübcke zu machen. Zuerst war ich ein bisschen erschrocken, weil ich es im ersten Moment als pietätlos empfunden hatte. Dann aber im Nachhinein habe ich ziemlich schnell begriffen, dass das eigentlich eine richtig gute Idee sein kann.
Was war dir bei der Inszenierung besonders wichtig?
Das sind wirklich mehrere Punkte: Zum einen möchte man der Persönlichkeit Walter Lübcke und seinen Überzeugungen gerecht werden. Das war mir wichtig.
Außerdem wollte ich, dass man die Äußerungen der Nazis und ihre Gewaltbereitschaft, Gewaltgeilheit nachvollziehen kann. Denn es ist etwas anderes, solche Kommentare im Netz zu lesen und zu denken, wie schrecklich. Aber wenn die Figuren auf der Bühne das sagen, hat es eine andere Energie und eine ganz andere Dynamik. Zu zeigen, wie eklatant diese Gefahr für uns alle und unser demokratischen System ist, das zu treffen ist mein Ziel.
Und in diesem Kontext habe ich mir dann die Frage gestellt, wie zeige ich, wie jemand dazu gebracht werden kann, einen Mord zu begehen. Das fand ich sehr kompliziert und ich weiß auch nicht, ob mir das gelingt. Aber ich habe einen Weg gefunden, der so hätte sein können.
Wie eng war die Abstimmung/ Zusammenarbeit mit der Familie?
Ich stehe im Austausch mit einer Kontaktperson im Umfeld der Familie, dem Sprecher der Familie. Dieser war ein enger Freund von Walter Lübcke. Durch seinen engen Kontakt zur Familie kann ich davon ausgehen, dass die Familie über den Prozess der Entstehung des Stücks auf dem Laufenden ist. Und gleichzeitig ist es relativ leicht, sich bewusst zu machen, dass wenn man so tief in die Geschichte des Mordfalls eintaucht, wie wir es mit der Produktion tun, dass das der Familie nicht zumutbar ist. Das reißt Wunden auf, das geht nicht.
Insbesondere in der Anfangsphase, bei der Entstehung des Stückes, was charakterbildende Eigenschaften von Walter Lübcke betraf, konnte ich über Dirk Metz (den Sprecher der Familie) die Fragen stellen. Ich habe aber auch die Rückmeldung von Michael Brandt, der ein enger Freund von Walter Lübcke war, dass ich ihn ganz gut getroffen habe.
Außerdem habe ich viel zum Thema recherchiert und u.a. mit anderen Persönlichkeiten gesprochen, die auch regelmäßig heftigen Attacken ausgesetzt waren.
Der Politiker ist vor 4 Jahren erschossen worden, wieso ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt für das Stück?
Der Zeitpunkt wäre auch früher schon geeignet gewesen. Denn es ist keine ganz neue Entwicklung, dass Rechtsradikale, die AFD eine Gefahr für dieses Land darstellen. Aber die Situation eskaliert zunehmend und da kommen wir mit unserer Inszenierung zu einem passenden Zeitpunkt. Und dadurch, dass es sich in den letzten Wochen und Monaten noch einmal zugespitzt hat, kommen wir sogar noch ein bisschen passender. Ich befürchte sogar, wenn wir das Stück im nächsten Frühjahr zeigen, wird die Aktualität nicht nachlassen.
Einen Aspekt möchte ich noch erzählen: Es gibt eine feste Ansicht der Familie, die sich nach
der Veranstaltung in Lohfelden und auch nach dem Mord entstanden ist: Wenn bei der Veranstaltung in Lohfelden nur eine Person aufgestanden wäre, um diese Störer zu konfrontieren, zu sagen, dass ihre Verhalten so nicht geht, Walter Lübcke diesen Satz nicht hätte sagen müssen. Wäre eine Person aufgestanden, wären wahrscheinlich auch viele andere unterstützend dazugekommen. Das sollte man sich bewusstmachen. Es kann reichen, wenn einer aufsteht und sich positioniert.
Wenn man im Regionalzug sitzt, dann kann man das Passivsein niemanden vorwerfen. Das habe ich auch einmal erlebt. Da kam eine Horde rein und beschimpft jemanden. Das ist viel schwieriger. Aber bei so einer Veranstaltung, wie die in Lohfelden, bei der es nur ein paar Leute gab, die das bewusst gestört haben. Da hätte es gereicht, wenn nur eine Person aufgestanden wäre. Er stand voll und ganz hinter diesem Satz. Aber ohne den Satz, hätte es das Video nicht gegeben, wäre es nicht hochgeladen worden, hätte es die Welle danach nicht gegeben und dann hätte es für die beiden Täter keinen Grund gegeben, sich ihn auszusuchen.