„Ein Mensch, dem man die Persönlichkeit genommen hat“

Das Westfälische Landestheater bringt Georg Büchners Klassiker Woyzeck auf die Bühne. Vor der Premiere haben wir uns mit Regisseur Markus Kopf zu einem Gespräch getroffen, um mit ihm über die Inszenierung und den Autor zu sprechen:

WLT: Mit „Woyzeck“ hast du nun alle drei Theaterstücke Büchners inszeniert. Was macht den Autor und seine Werke so spannend?
Markus Kopf: Da gibt es verschiedene Faktoren. Zunächst ist es die Persönlichkeit Georg Büchners, der im Alter von 23 Jahren verstorben ist. Sein Gesamtwerk ist somit relativ klein, aber es hat die Entwicklung der Literaturgeschichte stark geprägt. Ein Samuel Beckett wäre ohne Büchner sicherlich gar nicht denkbar. Büchner war politisch sehr aktiv und hat zum Beispiel zusammen mit Friedrich Ludwig Weidig den „Hessischen Landboten“, ein politisches Pamphlet, herausgegeben. Er war ein Kämpfer für soziale Gerechtigkeit und die Demokratisierung. Und dazu ist die Sprache Büchners einfach grandios.

WLT: Insgesamt gibt es vier verschiedene Textfassungen des Dramas, die du alle für die Stückfassung verwendet hast. Wie bist du dabei vorgegangen?
Markus Kopf: Büchner beendete durch seinen frühen Tod die Arbeit an seinem Werk nicht. Nach seinem Tod wurden die vier Fassungen in verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Herausgebern editiert. Es lässt sich also nicht sagen, welche Büchner präferiert hätte. Ich habe aus dem vorhandenen Fragment versucht eine dramaturgisch spannende und theatralisch abwechslungsreiche Fassung zu machen.

 

WLT: Büchner hat sich bei seinem Werk an einen historischen Fall angelehnt.
Markus Kopf: Büchner hat wie sein Vater Medizin studiert. Der Fall „Woyzeck“ wurde in den damaligen medizinischen Fachzeitschriften stark diskutiert. Es ging darum, ob dieser Mensch für die Ermordung einer Frau schuldig gesprochen werden kann. Nach einem langen Verfahren wurde er verurteilt und öffentlich in Leipzig hingerichtet, obwohl er auf Grund seiner Wahnvorstellungen als unzurechnungsfähig zu gelten hat. Büchner beschreibt in seinem Drama die Verelendung eines Menschen. Soziale Umstände lassen ihn zum Mörder werden. Er sieht den Mord als eine Konsequenz aus diversen Ursachen, die die Gesellschaft nicht wahrhaben will. Büchners Woyzeck ist ein armer, einfacher und bildungsferner Mensch, der sich am Rand der Gesellschaft befindet. Er ist ein Mensch, dem man die Persönlichkeit genommen hat und der nur noch funktioniert. Woyzeck leidet unter Visionen und einer Art Schizophrenie. Er sieht Weltverschwörungen und Untergangsszenarien. Er und seine Frau Marie haben ein uneheliches Kind. Marie ist ohne Hoffnung und Zukunft, aber sie will leben. Als sie ein Verhältnis mit einem Tambourmajor beginnt, bringt Woyzeck sie um. „Woyzeck“ ist also auch eine doppelte Opfergeschichte: Einer, der misshandelt wird, misshandelt seine Frau, bis er sie schlussendlich ermordet.

WLT: Kannst du zum Abschluss noch kurz einen Blick auf das Bühnenbild werfen?
Markus Kopf: Die Inszenierung spielt in der heutigen Zeit. Es wird eine Art großen Müllberg auf der Bühne geben, der in seiner Gestaltung jedoch nicht realistisch ist. Wir greifen damit das Bild von Menschen auf, die wie Woyzeck und Marie ohne Zukunft am Rande der Gesellschaft leben. Sie sind in diesem Sinne die Letzten der Letzten, die sich vom Abfall der Gesellschaft ernähren müssen. Manfred Kaderk (Ausstattung) bezeichnet das Ganze als einen „Endzeitwall“ und ich denke, der Begriff spricht für sich.

Am 28. Januar feiert „Woyzeck“ im WLT-Studio um 20 Uhr Premiere. Eine weitere Vorstellung findet am 24. April 2023 um 18 Uhr in der Stadthalle Castrop-Rauxel statt. Restkarten sind unter Tel.: 02305 978020 oder per E-Mail an tickets@westfaelisches-landestheater.de erhältlich.