Am Sonntag, 19.12.2021 feiert unser neues Stück “Dunkle Mächte” Premiere. Im Interview sprechen Regisseur Christian Scholze und Autorin Sineb El Masrar über Verschwörungsmythen, Antisemitismus und die Entwicklung des Theaterstücks.
WLT: Warum findet ihr das Thema „Verschwörungsmythen“ wichtig?
Christian Scholze: Angela Merkel hat mal gesagt, dass Verschwörungstheorien ein Angriff auf unsere demokratische Lebensweise sind. Und ich glaube, das stimmt. Man bekommt das vielleicht manchmal nicht so mit, aber es passiert jeden Tag irgendwo etwas, vor dem man möglicherweise auch die Augen verschließt, aber das Ganze rutscht immer mehr in die Mitte der Gesellschaft. Nehmen wir die aktuelle Impfdebatte. Wenn wir von einer Impfquote von 70, vielleicht 75% ausgehen, wenn man sich das ausrechnet, wie viele Menschen in Deutschland noch nicht geimpft sind… Natürlich sind das sind nicht alles Verschwörungsgläubige, aber alle haben irgendeine Meinung gegen die Impfung. Ich glaube, dass diese Mythen, die vermehrt auch mit Antisemitismus verbunden sind, wirklich eine Gefahr darstellen.
Sineb El Masrar: Verschwörungsmythen umgeben uns in der Gesellschaft weit mehr als wir oft denken. Sie existieren nicht erst seit der Coronapandemie. Ich würde die Behauptung aufstellen, dass jeder Mensch in unserer Gesellschaft jemanden kennt, der an Verschwörungsmythen glaubt. Es findet sich in allen politischen und ideologischen Lagern. Bei meiner journalistischen Arbeit bin ich zudem aufgrund der Themenfelder Extremismus, Migration und Feminismus immer wieder mit Verschwörungserzählungen in Berührung gekommen.
WLT: „Dunkle Mächte“ war ein Auftragswerk. Wie sah eure Zusammenarbeit aus?
Christian Scholze: Ich kenne Sineb schon sehr lange. Wir haben uns kennengelernt, als sie 2006 das multikulturelle Frauenmagazin „Gazelle“ herausgebracht hat. Wir hatten mal mehr, mal weniger Kontakt, aber ich fand es einfach spannend zu sehen, wie sie sich entwickelt hat und welches Renommee sie sich erarbeitet hat. Das ist wirklich toll! Sineb hat nun zum ersten Mal ein Theaterstück geschrieben, da haben wir uns schon abgestimmt, aber sie ist die Autorin. Da gebe ich ihr den Raum, sich frei zu fühlen und das Stück so zu schreiben, wie sie es sich vorstellt. Ich habe es dann – in enger Abstimmung mit ihr – für mich angepasst. Das ist aber ganz üblich für Regisseur*innen. Was ich an Sinebs Stück so super finde, ist, – und das merkt man jetzt vor allem in der Probenarbeit – wie durchdacht das ist, was sie da geschrieben hat. Das finde ich toll!
WLT: Wie bist du bei der Entwicklung des Stücks vorgegangen?
Sineb El Masrar: Es baut auf meiner jahrelangen Arbeit auf. Dass war auch der Grund, warum ich vom Dramaturgen Christian Scholze des Westfälischen Landestheaters angefragt wurde. Dann habe ich mir einen großen Überblick über die aktuellen und alten Verschwörungserzählungen gemacht, unzählige Verschwörungserzählungen und Videos angesehen und daraus ein Szenario mitsamt der Figuren entwickelt. Irgendwann haben die Figuren ohnehin selbst gesprochen und ich habe nur noch aufgeschrieben. (lacht)
WLT: Was hat der Konsum dieser alternativen Nachrichten mit dir gemacht?
Sineb El Masrar: Es war unglaublich anstrengend und aufwühlend. Es hat mich auch sehr betroffen gemacht, weil es auch teilweise sehr hoffnungslos erscheint. Denn mit Argumenten sind Verschwörungsgläubige sehr schwer bis gar nicht zu erreichen. Wütend haben mich zudem jene gemacht, die aus dem Wahnsinn dieser Menschen Kapital schlagen. Extremismus ist leider auch ein durchaus lukratives Geschäft. Es ist also eine wirkliche Belastungsprobe für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung!
WLT: Was war die Herausforderung für dich beim Schreiben eines Theaterstücks?
Sineb El Masrar: Ich wollte ein Stück schaffen, dass eine gewisse Zeitlosigkeit hat. Ich mag ja Herausforderungen. Vor allem wollte ich aber ein Stück schreiben, was in unserer postmigrantischen Gesellschaft spielt. Denn Verschwörungsmythen sind unfassbar hartnäckig und für alle Menschengruppen attraktiv, so auch in unserer Einwanderungsgesellschaft. Denn die Verstrickungen in Deutschland, in Europa, in der Welt sind vielfältig und bestehen aus keiner binären Weltsicht. So auch nicht die Verschwörungserzählungen und der darin enthaltene Antisemitismus. Wir werden diese Plage nur als Gesamtgesellschaft bewältigen können. Mit dem Stück will ich damit ein Angebot schaffen.
WLT: Warum heißt dein Stück „Dunkle Mächte“?
Sineb El Masrar: Weil die wahren Gründe, warum Menschen an Verschwörungserzählungen glauben im Dunklen bleiben. Diese Menschen sprechen nicht darüber, was sie innerlich wirklich bewegt. Und diese Ängste und Traumata setzen eine Macht frei, die leider Demokratien erschüttern können und auch immer wieder Menschenleben kosten. Antisemitismus ist vor allem ein nicht enden wollendes Gerücht über eine Menschengruppe. Antisemiten blenden immer wieder die Entmenschlichung aus, die sie mit ihrem Verschwörungsglauben anrichten.
WLT: Wie stellst du dir die Umsetzung deines Textes auf der Bühne vor?
Sineb El Masrar: Da lasse ich mich gerne überraschen. Die Dinge, die mir sehr wichtig waren habe ich entsprechend im Stück eingearbeitet. Meine Arbeit als Autorin ist damit getan. In das Fach des Dramaturgen greife ich somit nicht ein. Das ist auch das Schöne am Theater. Auch das Ensemble bringt sich ein. Wie unsere Gesellschaft lebt das geschriebene Stück von den Menschen, die das Stück zum Leben erwecken und mit ihrem Spirit beleben.