Von den Gefahren der künstlichen Intelligenz

Herr Kwant wird das Leben von Theo und Anna einfacher machen. Denn zukünftig kümmert er sich um alles. Herr Kwant ist als persönlicher Assistent und kostenloser Informationspartner das Social Media in menschlicher Form. Herr Kwant weiß alles, speichert alles, kann alles, er organisiert nicht allein den Haushalt, kocht alle Lieblingsgerichte, übernimmt nach Übermittlung der Kreditkartendetails alle Bestellungen, er gibt auch Empfehlungen für notwendige Investitionen und zur allgemeinen Lebensverbesserung. Schon bald kann Theo ohne ihn keine Entscheidungen mehr treffen. Und die Dinge nehmen ihren Lauf.

Philipp Löhle ist seit vielen Jahren einer der renommiertesten deutschsprachigen Dramatiker und hat mit „Die Mitwisser ein gleichermaßen beeindruckendes wie auch beängstigendes Stück über die Perspektiven und den Umgang mit Big Data in einer immer digitalisierteren Welt geschrieben. Er entwirft ein Post-Siri- und Alexa-Szenarium, in dem der Mensch jegliche Kontrolle über das Leben abgegeben hat. Das Westfälische Landestheater bringt nun das Stück in einer Inszenierung von Markus Kopf auf die Bühne, der zuletzt mitTaxi, Taxi Kritiker und Publikum gleichermaßen begeisterte. Im gemeinsamen Interview mit Dramaturg Christian Scholze spricht er über seine neueste Produktion, die am 01.02. Premiere feiert.

WLT: Für alle, die das Stück nicht kennen: Könnt ihr kurz erklären, wovon das Stück handelt?
Markus Kopf: Der Autor Philipp Löhle verlegt die uns heute umgebende digitale Welt mit Smartphone, Instagram, Facebook, YouTube in eine analoge Lebenswirklichkeit. Was uns der unverzichtbare Internetzugang anbietet, wird in dieser vom Autor als „Idiotie“ vorgestellten Farce durch allzeit präsente Kwants dargestellt: Menschen die uns bereitwillig Dienste anbieten, uns durch ihr Wissen mit Informationen überschütten und zunehmend in unsere Privatheit eindringen.
Herr Kwant und seine Klone, die man sich gratis ins Haus holen und als Helfer und Alleswisser benutzen kann, sammeln nicht nur Daten, sondern saugen damit zugleich die Freiheit und Individualität aus den Menschen, denen sie zu dienen scheinen.
Christian Scholze: Wir haben das Stück u.a. deswegen auf den Spielplan genommen, weil wir uns mit den Auswirkungen der digitalen Entwicklung auf die Gesellschaft beschäftigen wollen.
Wir alle haben in der Theorie eine Ahnung davon, dass die technische bzw. digitale Entwicklung in Bezug auf KI auch mit enormen Gefahren verbunden ist und unser Leben stark verändern wird. Wie sehr das geschieht übersteigt unsere Vorstellungskraft. In diesem Stück bekommt man eine Ahnung davon.
Damit leisten wir einen Beitrag zu einer sehr dringenden und hochaktuellen Debatte.

WLT: Könnt ihr Theos anfängliche Euphorie für Herrn Kwant verstehen? Und habt ihr eine Alexa oder nutzt ihr Siri?
Markus Kopf: Wir alle sind doch begeisterte Internetnutzer, wohlwissend wie stark die Einflussnahme ist und wohlwissend wie unabsehbar die Folgen sind. Wir alle, ob Skeptiker, Befürworter oder Verweigerer kommen um die Möglichkeiten der sozialen Netzwerde nicht herum. Sind Sie Eltern werden Ihre Kinder von Ihnen den Netzwerkzugang einfordern, da diese sonst von der sozialen Gemeinschaft abgeschnitten sind. Für mich als Regisseur hat es enorme Vorteile, sich über Internet mit Hintergrundinformationen zu Stücken zu versorgen. Die Vorteile sind evident können aber nicht darüber hinwegtäuschen welch enorme Gefahr in der Datenanhäufung liegt.
Ich habe keine! Aus dem genannten Grund. 1987 gab es anlässlich einer angekündigten Volkszählung einen breiten Protest und Aufruf zum Boykott, dem viele Bürger nachkamen. Das Bundesverfassungsgericht formulierte 1983 das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung und daraufhin mussten personenbezogene Angaben gestrichen und anonymisiert werden.
Es herrschte in den 80-igern ein enormes Unbehagen gegenüber der staatlichen Initiative, Daten zu sammeln. So wandeln sich die Zeiten…
Christian Scholze: Ich glaube, dass es durchaus eine Faszination hat, wenn man jemanden hat, der wie ein Mensch aussieht, der aber im Grunde ein Diener ist. Der macht alles und auch noch alles richtig. Das kann ich psychologisch verstehen. Mich persönlich würde das, glaube ich, langweilen.
Ich habe keine Alexa, aber ich habe das einmal bei Freunden erlebt: Die rufen etwas in den Raum und dann kommt die Musik. Und wenn du dann noch jemanden hast, der Kaffee kochen kann. Das hat schon was. Meine Skepsis kommt auch daher, dass ich gar nicht genau weiß, was damit alles möglich ist. Unser Nachbar hat auch alles Mögliche: Bei dem ist das so, wenn Schalke ein Tor schießt, dann blinkt die ganze Wohnung blauweiß. Aber es passiert ihm halt auch, dass irgendein Alarm losgeht und er dann Nachbarn bitten muss nachzusehen, ob es in seiner Wohnung brennt.
Ich benutze aber Siri. Und in meinem Sommerurlaub war ich darüber unheimlich froh. Denn ich war in dem Land, in dem die Menschen nur Russisch und Kirgisisch gesprochen haben. Und ich konnte Siri dann für die Übersetzungen nutzen und so kommunizieren. Das war extrem gut. Und wenn du das dann noch personifiziert hast, dann kann ich diese Euphorie schon verstehen, ja.

WLT: Das Stück zeichnet ein düsteres Szenario, aber es hat auch Humor und Leichtigkeit. Wie würdet ihr die Stimmung des Stücks beschreiben?
Christian Scholze: Die Situationen und auch die Figuren haben etwas Humorvolles. Dabei sind sie aber auch ziemlich authentisch. Es ist natürlich auch eine Frage des Humors. Aber es gibt eine Stelle, da ist Herr Kwant gerade erst angekommen und es wird deutlich, dass Anna versucht, schwanger zu werden. Sie fragt ihn, ‚woher wissen Sie das‘ und er sagt, er habe es durch die Indizien im Badezimmer entdeckt. Sie regt sich darüber auf und sagt zu ihm, ‚Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Scheiß‘. Und er nimmt das wörtlich, weil es ja ein Befehl ist. So etwas finde ich witzig. Oder auch das Erstaunen in der Büro-Szene, wenn Theo sich Gedanken darüber macht, wo er für seine Arbeit recherchieren muss und Herr Kwant einfach alles weiß.

WLT: Für wen ist es das richtige Stück? Oder anders, warum sollte man sich unsere Inszenierung von „Die Mitwisser“ ansehen?
Markus Kopf: Es gibt kein spezielles Publikum. Es wendet sich an jeden, der mit Big Data in Kontakt kommt. Das Stück ist von hohem Unterhaltungswert und es gelingt leicht verständlich und mit Witz die Thematik zu behandeln.
Christian Scholze: Ich finde, es ist ein total interessantes Stück und es eignet sich für ganz viele Altersgruppen. Denn ich glaube, man kann so eine grundlegende Tendenz in der Gesellschaft erkennen: Wenn ich etwas nicht verstehe, dann wird es schon nicht so schlimm sein. Das ist eine Art Verdrängungsmechanismus. In unserem Stück zeigen wir, wie sich ein privates, individuelles, soziales Miteinander dadurch verändert und wie jemand darüber die Kontrolle verliert. Das ist auch beim Umgang mit den sozialen Medien der Fall. Ich mag solche Stücke einfach, die mit einer Realität umgehen, die nicht so weit in der Zukunft liegen. Man kann sich dieses Szenario vorstellen.

Die Premiere feiert das WLT am Samstag, 01. Februar um 20 Uhr im WLT-Studio. Es gibt nur noch wenige Restkarten. Auch für die weiteren Termine muss man schnell sein: Für den 08.02. und den 11.02. gibt es noch wenige Karten. Karten, Abos und Informationen an der Theaterkasse: Maximilian Bock, 02305 – 978020 oder bock@westfaelisches-landestheater.de.